Die Nomadengott-Saga 02 - Die Irrfahrer
Traurigkeit in ihr Gesicht zurück.
»Ich weiß nicht, was euch in unsere unglückliche Stadt geführt hat, aber meine Visionen haben mir gezeigt, dass ihr mir helfen könnt. Wollt ihr mir helfen?«
Seshmosis fühlte sich geehrt und geschmeichelt. »Gerne, Prinzessin! Stets zu Diensten. Was können wir für Euch tun?«
»Es geht nicht um mich, denn mein Schicksal ist längst besiegelt, und ich kann es nicht mehr abwenden. Es geht vielmehr um meinen Neffen Skamandrios, den Sohn meines Bruders Hektor. Man nennt ihn auch Astyanax, den Beschützer der Stadt, aber diese Aufgabe wird er wohl nicht mehr erfüllen können.«
»Wie können wir dem Knaben helfen?«, fragte Seshmosis eifrig.
»Skamandrios ist erst zwölf Jahre alt, und sein Gemüt ist verwirrt. Er musste vom großen Turm aus zusehen, wie Achilleus seinen Vater Hektor erschlug, die Leiche mit den Füßen an seinen Streitwagen band und dreimal um die Stadtmauern schleifte. Seither hat er die Sprache verloren.«
In Seshmosis keimte eine Ahnung, doch er behielt sie für sich.
»In einer schrecklichen Vision sah ich, wie ein Achäer den kleinen Skamandrios von eben diesem großen Turm in den Tod stürzt. Seither halte ich meinen Neffen verborgen.«
»Glaubt Ihr wirklich, dass keiner weiß, wo er sich befindet? Könnte es nicht sein, dass er sich in der Ebene bei einem hethitischen Geschäftsmann namens Mursil aufhält?«, wagte Seshmosis nun doch zu fragen.
Kassandra erschrak.
»Woher weißt du das? Niemand darf erfahren, wer dieser Knabe Metin in Wirklichkeit ist! Wissen noch andere davon? Hast du jemandem davon erzählt? Ist Skamandrios in Gefahr?«
»Ich glaube nicht, edle Kassandra. Es waren nur meine Beobachtungen und nun Eure Erzählung von Eurem Neffen, die mich zu meinem Schluss führten. Eben erst hegte ich diesen Verdacht, und ich habe ihn gewiss zuvor noch nie ausgesprochen.«
Diese Erklärung beruhigte die Prinzessin, und sie wandte sich an den Seher: »Hast du schon einmal versucht, die Erfüllung einer Vision zu verhindern?«
»Bei allen Göttern, nein!«, rief der Seher entrüstet. »Das ist gegen alle kosmischen Gesetze!«
»Aber ich werde es tun!«, verkündete Kassandra entschieden. »Ich werde es nicht zulassen! Ich werde alles dafür tun, dass sich diese Prophezeiung nicht erfüllt. Und ihr werdet mir dabei helfen.«
»Aber wie sollen wir armen, waffenlosen Reisenden solches verhindern? Ihr habt mich selbst schmächtig genannt, und schaut Euch Nostr'tut-Amus an! Sehen wir etwa aus wie Krieger?«, wehrte Seshmosis heftig ab, obwohl er dem Jungen sehr gern geholfen hätte.
»Über Krieger verfüge ich genug! Was ich brauche, sind Männer mit außergewöhnlichen Fähigkeiten. Männer, die in Verbindung mit höheren Mächten stehen und deren Wort etwas gilt. Wie steht es nun, wollt ihr mir also helfen?«
Ein glühender Blick aus Kassandras Augen, der keinen Widerspruch duldete, traf die beiden Tajarim.
»Selbstverständlich!«, riefen Seshmosis und der Seher wie aus einem Munde.
»Gut! Ich danke euch! Wenn die Stunde gekommen ist, werdet ihr die Zeichen selbst erkennen. Es bedarf dann keiner Botschaft mehr von mir, die ich höchstwahrscheinlich auch gar nicht mehr geben könnte. Ich bitte euch, Skamandrios, den ihr unter dem Namen Metin kennt, mit euch zu nehmen und in Sicherheit zu bringen. Wo immer er in dieser Welt stranden mag, auf keinen Fall darf er den Achäern in die Hände fallen!«
»Wir werden uns um Skamandrios kümmern«, versprach Seshmosis, und Nostr'tut-Amus bekräftigte das Versprechen.
»Dann werde ich bei nächster Gelegenheit Mursil informieren, dass er euch den Jungen ohne Bedenken übergeben soll. Mögen die Götter, an die ihr glaubt, euch segnen!«
Kassandra öffnete eine Schatulle und griff hinein. Dann gab sie Seshmosis und Nostr'tut-Amus je ein kleines goldenes Bildnis.
»Bitte versteht dies nicht als Bezahlung, sondern als Geste des Dankes. Dies ist ein Bildnis der Hera, der Muttergöttin. An welche Götter ihr auch immer glauben mögt, in dieser Region wird euch das Bild der höchsten Mutter schützen, erst recht, wenn ihr ein Kind rettet.«
Sodann reichte Kassandra den beiden Tajarim zum Abschied die Hand.
*
Agamemnon zeigte sich hocherfreut über das Konzertangebot von El Vis. Vor allem, weil es ihm von Kalala überbracht wurde. Obwohl die Prinzessin all seine Annäherungsversuche höflich, aber entschieden abwehrte, stellte der König von Mykene dem Sänger einen Zimmermann zur
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