Die Nomadengott-Saga 03 - Die Weltenbaumler
sich. Raffnir wandte sich wieder seinen Drachenangelegenheiten zu, was immer das auch sein mochte. Hagen dagegen betrat durch die alte Eiche seinen Hort. Er wollte sich wieder einmal an seinem Besitz erfreuen. Und daran, welche Macht ihm dieser Schatz geben würde. Dabei bemerkte er nicht, wie unachtsam ihn diese scheinbare Macht schon jetzt gemacht hatte. Denn Seshmosis hatte beobachtet, wie der Tronjer auf recht ungewöhnliche Art im Innern eines Baumstamms verschwunden war. Für ihn eine gute Gelegenheit, den Schauplatz ungesehen zu verlassen.
*
Gunthers Verfolgungswahn nahm mehr und mehr zu. Er traute keinem, selbst seine Brüder verhielten sich in seinen Augen verdächtig. Giselher trieb sich ständig im Weinkeller herum, bestimmt wollte er Gunther Gift in seinen Lieblingstropfen mischen. Oder sein Bruder Gernot, der Nächste nach ihm in der Thronfolge. Der trug seit einigen Tagen nicht nur einen Dolch im Gürtel, sondern noch einen weiteren im Stiefel. Sicher plante er, bei der ersten günstigen Gelegenheit zuzustoßen. Und gar sein schreckliches Weib, das ihm nach der Hochzeitsnacht die Männlichkeit geraubt hatte. Sie verweigerte sich ihm und damit einer Schwangerschaft und der Geburt eines Thronfolgers. Sie wollte, dass Gunthers Blutlinie ausstarb. Der Erfolg war ihr jetzt schon sicher, denn keine Regung zeigte sich mehr in seiner Männlichkeit, und Erleichterung verspürte er nur noch beim Wasserlassen.
Gunther starrte auf den Tarnmantel, den er aus Hagens Gemach entwendet hatte. Mit dessen Hilfe konnte er unerkannt in der Burg herumschleichen und seine Feinde beobachten. So würde er Beweise sammeln und dann seine Widersacher allesamt in den Kerker werfen lassen. Keiner konnte den König von Burgund mehr hintergehen! Er würde ihre Machenschaften entlarven und sie alle bestrafen!
Gunther warf sich den Mantel über, diese letzte Erfindung des Zwerges Andwari Alberich, und eilte ziellos in seiner Burg umher. Er musste sich erst daran gewöhnen, dass ihn die Menschen nicht sahen und ihm daher nicht wie sonst ehrerbietig auswichen. Anfangs kam es fast zu fatalen Zusammenstößen, doch bald wusste Gunther besser damit umzugehen. Er schlich sich in die Küche. Vorsichtig an die Wand gedrückt, hielt er Ausschau nach eventuellen Giftmischern. Doch die Leute schufteten und fluchten nur wie immer, und keiner machte Anstalten, einen geplanten Giftmord zu offenbaren. Enttäuscht schlich Gunther weiter.
Im Weinkeller hörte er Stimmen. Lallende Stimmen. Im Kerzenschein saßen der Kellermeister Sindold und der königliche Bruder Giselher und widmeten sich intensiv dem neuen Jahrgang. Die Verschwörung der beiden hatte nur ein Ziel: die Weinvorräte der Burg zu vernichten.
Gunther stieg wieder nach oben und wandte sich nun dem Gesindetrakt zu. Die Bediensteten tratschten doch immer, und wenn es etwas Wichtiges zu erfahren gab, dann hier, dachte er. Im ersten Raum flickten einige Frauen alte Kleider. Doch seine Erwartung, dass diese dabei fröhlich schwatzend vom geplanten Sturz des Königs plappern würden, wurde enttäuscht. Sie plapperten nicht. Sie schwatzten nicht. Sie schwiegen dumpf vor sich hin. Jede schien in einer eigenen, abgegrenzten Welt zu leben. Schnell schlüpfte Gunther ins nächste Zimmer. Die Flicknäherinnen sahen nicht einmal auf, als sich die Sackrupfen, mit denen die Tür verhangen war, ohne ersichtlichen Grund bewegten.
Im nächsten Raum wurde Lederzeug repariert. Auch hier herrschte die gleiche gedrückte Stimmung. Gunthers Vorstellung vom Volk war eine ganz andere. Viel heiterer, ausgelassener. So wie bei den Turnieren, wo die Menschen jubelnd am Straßenrand standen. Oder als bunte Menge, die den Hintergrund für die herrlichen Auftritte von ihm, König Gunther, bildete. Dieses Gesinde hier war einfach nur abgestumpft, bleich und dreckig. Eine Schande für seine Burg und sein Königreich! Das musste er ändern. Er musste den Thronrat einberufen. Aber vielleicht wollte dieser eben das erreichen? Genau, der Thronrat steckte hinter all dieser grauen, schmutzigen Traurigkeit der Leute. Er gaukelte ihm etwas vor. Er wollte ihn über die wahren Zustände belügen und ihm dann die Schuld an diesem ganzen Elend geben. Doch er, Gunther, durchschaute seinen verräterischen Thronrat! Er würde es ihm zeigen! Er würde durchgreifen! Sein Königreich war in Wirklichkeit viel bunter, heiterer und glücklicher!
Voller Tatendrang stürmte er in seine Gemächer zurück. Dabei vergaß er, dass
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