Die Nomadengott-Saga 03 - Die Weltenbaumler
preisgaben, als er eigentlich wissen wollte. Oder die Krieger, die so fest daran glaubten, dass Gott ihren Sieg vorbestimmt habe? Warum rüsteten sie sich dann mit Brünnen, Helmen und Schilden? Angeblich sagte die Vorsehung doch, dass sie unbesiegbar wären. Nein, all seinen Erfahrungen nach musste der Mensch selbst für seine Bestimmung sorgen, und das tat Ortwin auch. Vor einigen Tagen hatte er Chlothilde mit Karl und Martin in ihre fränkische Heimat geschickt. Heute entließ er alle seine Wächter. Dann öffnete er die Zellen und stellte es den Insassen frei, zu gehen oder zu bleiben. Auf dem Tisch im Aufenthaltsraum hinterließ er einen Zettel, den der ägyptische Seher freundlicherweise für ihn geschrieben hatte:
An König Gunther. Euer Kerker macht mich traurig. Suche mir eine Arbeit weit weg von hier. Eine Arbeit, die froh macht ohne Schmerzensschreie. Alles so dunkel hier. Brauche frische Luft. Bin weg. Ortwin Kerkermeister.
Nostr'tut-Amus entschied sich auch fürs Gehen und begab sich ins Quartier der Tajarim.
*
Weder der König noch der Thronrat bemerkten, dass das Verlies der Burg bis auf einige verstörte Ratten völlig leer war. Denn die Edlen von Burgund hatten derzeit andere Sorgen. Gerade rauschte Brünhild in die große Halle und stürmte wütend auf Gunther zu.
»Ich erkläre meine Ehe mit dir für ungültig! Du hast dir meine Gunst erschlichen, du hast mich gemeinsam mit Siegfried betrogen. Nur mit Hilfe eines zwergischen Tarnmantels gelang es euch, mich zu besiegen! Ihr alle seid elende Betrüger! Und Mörder seid ihr sicher auch! Ich verlasse diese Burg noch heute. Mein Gefolge packt schon meine Sachen. Bevor die Sonne untergeht, reise ich in meine Heimat Eisland zurück.
Ich betrachte mich als nie verheiratet gewesen. Solltest du damit nicht einverstanden sein, König Gunther, werde ich mich sogleich, hier und jetzt, auf der Stelle selbst zur Witwe machen!«
Gunther erbleichte. Mit Panik sah er Brünhildens gezückten Dolch. Zitternd stammelte er: »Ja, geh! Geh schnell! Ich war nie verheiratet. Niemals nicht verheiratet.«
»Dann ist es ja gut. Und versuche niemals wieder eine Frau auf deine Burgundenart zu gewinnen. Weil ich dir dann nämlich meine ehemaligen Kameradinnen auf den Leib hetzen werde!«
Brünhild warf einen letzten hasserfüllten Blick auf den König und stürmte aus der Halle.
*
Raffnir lag entspannt auf einem Felsen in der Sonne und pflegte seine gute Laune. Letzte Nacht hatte das Ringlein sich das erste Mal vermehrt, und nun glitzerte Draupnir mit seinen acht Kindern vor ihm auf dem Stein. Das also war gemeint, wenn jemand sagte, man werde zusehends reicher, dachte der Drache. Doch da fiel unvermittelt ein Schatten auf die Ringe. Ein großer Schatten. Mit einem unguten Gefühl schaute sich Raffnir um. Hinter ihm stand Fafnir.
»Du hast da etwas, das mir gehört, Raffnir. Dieser Ring ist Teil des Wergeldes für meinen ermordeten Bruder Otter.«
»Wie? Was? Wergeld?«
»Du weißt genau, wovon ich spreche, Vetter!«
»So ganz genau eigentlich nicht. Du erwähntest einmal etwas. So ganz nebenbei. Aber diesen Ring habe ich mir ehrlich verdient. Musste dafür etwas ziemlich Großes leisten«, beteuerte Raffnir.
»Ja, du musstest einen Helden rösten. Ein ganzer Augenblick Schwerstarbeit. Bewundernswert«, spottete Fafnir, um sofort wieder drohend sachlich zu werden. »Aber du weißt doch, dass wir Drachen ein ausgesprochen feines Gespür für Eigentumsverhältnisse haben, ein noch feineres als für Familienbande. Und am allerfeinsten wird es, wenn Eigentum und Familie zusammentreffen: beim Erben.«
»Was habe ich mit deiner Familie und deiner Erbschaft zu tun?«
»Der Ring, Raffnir, ist das Erbe von meinem Vater und meinen Brüdern! Er ist Teil des Wergeldes und damit mein rechtmäßiges Eigentum!«
»Das ist verdammt lange her, Fafnir. Inzwischen ging er durch viele Hände. Deine Ansprüche sind längst erloschen.«
»Ich werde dir gleich meine erloschenen Ansprüche völlig erneuert auf deine Schuppen brennen! Egal wie viele Diebe meinen Ring inzwischen in ihren schmutzigen Fingern oder Krallen hielten, Draupnir gehört mir! Einzig und allein mir! Also rück ihn heraus!«
»Und wenn ich mich wider Erwarten doch weigern sollte?«
»Sei vorsichtig, werter Vetter! Du könntest diesmal mehr als einen Kopf verlieren«, warnte Fafnir zischend.
Ohne ein weiteres Wort schwang sich Raffnir in die Lüfte. Auf dem Felsen blieben der Geruch
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