Die Nonne mit dem Schwert (German Edition)
Alter gebeugte Schwester, die seit über zehn Jahren die Messnerin des Klosters war. »Warte, mein Kind, ich brauche deine Hilfe.«
Sie griff in den Brustbeutel ihres Ordenskleids und zog ihren Zellenschlüssel heraus. »Sei so gut und lauf in mein Zimmer, ich habe mein Gebetbuch vergessen.«
Verwirrt blickte Catalina zwischen dem Schlüssel und der betagten Schwester hin und her.
»So lauf doch, Kind, lauf! In wenigen Minuten läuten die Glocken! Ja, hörst du denn nicht? Catalina!«
Ihr Name riss sie aus ihrer Starre. Hastig nickte Catalina, drückte den Schlüssel an ihre Brust, lief durch den Kreuzgang, am Refektorium vorbei zu den Räumen der Nonnen und stand kurz darauf mit klopfendem Herzen vor der Zelle der Schwester. Ihre Finger zitterten, als sie den Schlüssel ins Schloss steckte, ihn herumdrehte und die Tür öffnete. Sie sah das Gebetbuch sofort. Es lag auf dem Kopfkissen der Schwester. Sie nahm es an sich, wollte gleich wieder zurücklaufen, aber dann fiel ihr Blick auf den Schlüsselkasten.
Er hing hinter der Tür. Er war viel kleiner und schlichter, als Catalina ihn sich vorgestellt hatte. Sie spürte das Gebetbuch in ihrer Hand, mahnte sich, dass sie auf schnellstem Weg zurückerwartet wurde und dass ein Zuspätkommen der Novizinnen zur Messe schwer bestraft wurde, konnte den Blick aber nicht von dem Schlüsselkasten wenden. Catalina versuchte, ihn aufzumachen, aber er war abgeschlossen. Einen winzigen Moment zögerte sie noch, dann nahm sie den Zellenschlüssel, bohrte ihn in das Astloch, das sich in der Höhe des Schlosses befand, brach damit ein Stück Holz heraus, bohrte ihn dann tiefer in den Spalt, bis das Holz nachgab – und die Tür aufsprang.
An die dreißig messingfarbene Schlüssel leuchteten Catalina entgegen. Fein säuberlich aufgereiht hingen sie da, Schlüssel neben Schlüssel, und einer von ihnen führte in die Freiheit. Aber welcher?
Die Glocken läuteten. Catalina spürte wieder das Gebetbuch in ihrer Hand. Was, wenn Schwester Juana ungeduldig wurde und ihr jemanden nachschickte? Wenn man sie vor dem aufgebrochenen Schränkchen erwischen würde, nein, dafür würde sie nicht nur einfach drei Wochen im Kerker schmoren. Dafür würden die Nonnen sie für immer wegsperren.
Catalina entschied, dass sie zunächst das Gebetbuch wegbringen musste. Laut hallten ihre Schritte durch die leeren Gänge des Klosters; erst als sie die Kapelle erreicht hatte, mäßigte sie ihr Tempo. Bevor sie die schwere Tür aufzog, strich sie sich über ihre feuchte Stirn. Catalina hoffte, dass man ihr ihre Erregung nicht ansah, und schritt, so ruhig sie konnte, zu Schwester Juana, die ihr dankend zunickte. »Und jetzt geh, Kind, geh rasch auf deinen Platz!«
Catalina nickte und ging langsam weiter, obwohl sich alles in ihr dagegen aufbäumte. Der Schlüsselkasten … Sie musste zurück! Vor Aufregung schoss Catalina das Blut in den Kopf. Als sie an Schwester Euralia vorbeikam, ergriff diese sie am Arm und flüsterte: »Aber Kind, wie siehst du denn aus? Ist dir nicht gut?«
Catalina witterte ihre Chance. Ihre erste, wohl auch einzige, die sie je haben würde!
»Ich … ich fühle mich tatsächlich nicht wohl …«
Schwester Euralia legte ihr die Hand auf die Stirn. »Mein Gott, du glühst ja! Los, geh zurück ins Dormitorium und leg dich hin! Gleich nach dem Gebet schaue ich nach dir. Soll dich jemand begleiten?«
Hastig schüttelte Catalina den Kopf und verließ die Kapelle. Kaum war die hohe Tür hinter ihr zugefallen, raffte sie ihre Kutte und rannte zurück zu Schwester Juanas Zelle. Sie stieß die angelehnte Tür auf, sammelte sämtliche Schlüssel in ihrer Schürze, hastete zurück in den Kreuzgang, von dort hinaus in den Garten, immer weiter und weiter, bis sie endlich vor dem großen Haupttor stand. Sie nahm den ersten Schlüssel und konnte ihn vor lauter Aufregung kaum ins Schloss stecken. Als es ihr endlich gelungen war, ließ er sich nicht drehen. Schnell warf sie ihn weg, nahm den nächsten, der auch nicht passte. Sie sah sich um, betete, dass niemand kam, probierte den nächsten Schlüssel – und dieser glitt weich wie ein Messer in die Butter ins Schloss hinein, drehte sich fast von allein, und schon konnte Catalina die Klinke herunterdrücken und das schwere Tor aufziehen. Ein frischer Morgenwind wehte ihr entgegen. Ein frischer Morgenwind – und die Freiheit!
3
D a vorn, das Tor! Seht ihr denn nicht, dass das Tor aufsteht? Nun beeilt euch doch! Sie darf nicht
Weitere Kostenlose Bücher