Die Nonne mit dem Schwert (German Edition)
entkommen.«
Catalina schrak zusammen. Schwester Asunción! Wieso war sie nicht mehr beim Morgengebet? Zu Catalinas Leidwesen hatte die Nonne schon immer unglaublichen Instinkt bewiesen, wenn es darum ging, sie bei irgendetwas zu erwischen. Catalina ließ die Schlüssel fallen und rannte die Klosterzufahrt hinunter. Wie ein in Panik geratenes Pferd lief sie über das Pflaster, rutschte mit ihren Ledersandalen auf den blanken Steinen immer wieder aus und fluchte über jede Sekunde, die sie eben am Klostertor vergeudet hatte. Sie erreichte die erste Abzweigung und warf einen Blick zurück: Die beiden Schwestern, die die Novizinnenmutter ihr nachgeschickt hatte, waren nicht weit hinter ihr. Entschlossen packte Catalina den knorrigen Ast einer alten Kastanie, zog sich den steinigen Hang hinauf und rannte in das Wäldchen hinein. Wenn überhaupt, sagte sie sich, hatte sie nur dort eine Chance, die Schwestern abzuhängen.
Zweige klatschten ihr gegen den Leib, Dornen zerkratzten ihr die Hände und das Gesicht. Und dann verfing sich auch noch ihr Ärmel im Geäst eines Busches. Verzweifelt zerrte Catalina an dem Stoff und sah, wie ihre Verfolgerinnen immer näher kamen. Endlich riss der Stoff, und sie konnte weiterlaufen. Schneller, schneller, schneller!, trieb sie sich an.
Erst eine ganze Weile später, als Catalina das Wäldchen längst hinter sich gelassen hatte und auch noch über eine lange Wiese gestürmt war, wagte sie es, erneut kurz innezuhalten und zurückzublicken. Sie konnte niemanden mehr entdecken. Keuchend griff sie sich in die Seite und sank auf die Knie.
Sobald Catalina wieder zu Atem gekommen war, rappelte sie sich hoch und rannte weiter. Die Nonnen würden nicht untätig bleiben: In wenigen Stunden würden sie das ganze Umland in Alarmbereitschaft versetzt haben. Ob Händler, Fischer, Bauer, Page oder Edelmann, jeder würde von ihrem Ausbruch erfahren und wissen, dass ihm die Exkommunizierung drohte, wenn er das junge Mädchen in der Novizinnenkutte entkommen ließ.
»Kleider!«, kam es Catalina in den Sinn. »Ich brauche dringend etwas anderes zum Anziehen.«
Sie wusste, dass nicht weit von hier ein kleines Gehöft lag. Es gehörte einem Hidalgo, einem Edelmann, verarmt wie die meisten seines Geschlechts, seit es mit der Wirtschaft der Weltmacht Spanien unter König Philipp III. immer weiter bergab ging, aber ein paar Kleidungsstücke zum Wechseln würden sich sicher auch in seinem Haus finden lassen.
Entschlossen zog sich Catalina den Novizinnenschleier vom Kopf. Wild und ungezähmt fiel ihr dickes, tiefschwarzes Haar über die Schultern. Der Wind wehte es hoch, und im gleichen Moment kam in Catalina dieses Gefühl von unbändiger Freiheit auf, das sie auch schon am Klostertor erfüllt hatte. Sie hatte den ersten Schritt getan; sie würde auch alle weiteren Schritte tun. Und niemand sollte sie aufhalten!
Um von dem schützenden Wald zu dem Gehöft zu gelangen, musste Catalina eine offene Wiese überqueren. Nachdem sie den Hof kurze Zeit beobachtet und festgestellt hatte, wie wenig Rauch aus dem Kamin kam, hielt sie es für wahrscheinlich, dass der Bewohner das Haus verlassen hatte. Sicher war er in einer der Tavernen des nahen Ortes beim Kartenspielen. Die meisten Hidalgos schlugen so ihre Zeit tot. Ein letztes Mal überblickte Catalina die Umgebung, dann rannte sie los und blieb erst wieder stehen, als sie das kleine Wohnhaus erreicht hatte.
Sie lauschte, blickte sich um, huschte an der Hauswand entlang zu dem ersten der beiden kleinen, mit geöltem Pergament bespannten Fenster und spähte hinein. Sie sah einen Tisch, zwei Holzbänke, den Kamin, weiter hinten zwei Alkoven, in dem der Schlafplatz untergebracht war. Zentimeter um Zentimeter öffnete Catalina die Tür, fuhr zusammen, als sie plötzlich quietschte, lauschte und quetschte sich durch den schmalen Spalt ins Haus. Im Kamin knackten zwei fast verglühte Stücke Pinienholz, ansonsten war nichts zu hören. Auf Zehenspitzen schlich Catalina zu dem Alkoven, schaute hinter die Vorhänge und atmete auf: Es war wirklich niemand da. Erst jetzt nahm sie sich die Zeit, sich in dem Raum umzusehen. Auf der Ablage des Küchenschranks entdeckte sie einen Kanten alten Brots. Sie nahm es und riss mit ihren kräftigen Zähnen ein großes Stück ab. Das Kauen beruhigte ihre Nerven. Sie entdeckte einen Krug mit Wasser, trank einen großen Schluck, blickte in den großen Kessel über der Feuerstelle, er war leer. Auch in den Tontöpfen, die auf dem
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