Die Nonne und der Tod
Ausführungen kaum noch folgen. Mein Kopf war so schwer, dass Worte ihn nicht mehr durchdringen wollten. Ich stellte den Becher mit dem warmen Bier ins Gras und fuhr mir mit den Händen übers Gesicht. Meine Finger waren kalt und vertrieben die Müdigkeit wenigstens für einen Moment.
»Wenn wir es sparen könnten, würden wir es tun«, sagte ich, ohne zu wissen, wie viel Zeit seit der Frage vergangen war.
»Aber ihr könnt.« Mit einer Handbewegung verscheuchte Richard den Affen von seinen Beinen und stand auf. »Ich sehe, dass du müde bist. Matthias und Maria werden euch nach Hause begleiten. Bis dahin nur so viel: Ich könnte dich unterrichten. Ich kann lesen, schreiben und beherrsche nicht nur das Rechnen, sondern die griechische Mathematik.« Er sah mich an. »Und ich spreche Latein, die Sprache der Könige …« Sein Lächeln warf kleine Falten um seine Augen und schob die Tätowierungen zusammen. »… und Königinnen.«
Maria begann zu kichern. Kurzer schlug ihr mit seiner dicken Kinderhand auf den Hintern und lachte. Ich nahm an, dass es sich um einen Witz handelte, den nur sie verstehen konnten, denn niemand fiel in ihr Gelächter ein. Die meisten anderen Gaukler waren ebenso wie Else längst eingeschlafen. Nur Richard, Maria und Kurzer waren noch wach.
Ich versuchte, über das nachzudenken, was Richard gesagt hatte, aber die Müdigkeit holte mich bereits wieder ein.
»Was verlangst du für deinen Unterricht?«, fragte ich.
»Darüber reden wir ein anderes Mal. Wir haben viel Zeit, um uns etwas zu überlegen. Im Winter kann man nur schlecht durchs Land ziehen.« Richard stieß den schlafenden Matthias mit der Spitze seines Lederstiefels an. »Steh auf und bring die Mädchen nach Hause«, sagte er.
Matthias zuckte zusammen und rieb sich den Schlaf aus den Augen, widersprach aber nicht. Gähnend stand er auf. Ich berührte Elses Wange. »Wir müssen nach Hause.«
Ich erhielt keine Antwort. Else hatte viel mehr Bier getrunken als ich; es war nicht nur die Müdigkeit, die ihr die Augen schloss. Ich versuchte es noch einmal, aber sie murmelte nur etwas Unverständliches und schmiegte sich wieder an meinen Arm.
»Ich mach das schon.« Maria stieß Kurzers Hand zur Seite und kam zu uns herüber. Mit einer Bewegung, die wirkte, als würde sie diese öfter ausführen, griff sie Else unter die Achselhöhlen und zog sie hoch. »Wir stützen sie. Wenn sie erst mal läuft, wird sie schon aufwachen.«
Und so war es.
Matthias und Maria mussten sie nur bis zum Weg stützen, dann war Else wach genug, um allein zu gehen, auch wenn sie dabei taumelte und immer wieder stolperte. Ich legte meine Wolldecke über den Kopf und schlang sie mir um den Körper. Ohne das schützende Feuer bemerkte ich erst, wie kalt die Nacht geworden war.
»Spricht Richard wirklich Latein?«, fragte ich.
Matthias hob die Schultern. »Wenn er es sagt, dann spricht er es.«
Wir verließen den Weg und gingen über einen kleinen Hof zu der Hütte von Else und dem krummen Hans. Sie war windschief und klein, schon zweimal hatten Herbststürme sie zerstört, aber Hans baute sie jedes Mal wieder auf, worauf sie jedes Mal schiefer und die Wände winddurchlässiger gewesen waren. Ich hörte das leise Gackern eines Huhns, dann das Meckern einer Ziege, als Else die zusammengehämmerten Bretter, die der Hütte als Tür dienten, an die Wand lehnte.
Drinnen war es dunkel. Der Geruch nach Vieh und kaltem Rauch schlug mir entgegen. Stroh raschelte, ein unförmiger Schatten, bei dem es sich nur um Hans handeln konnte, schmatzte im Schlaf.
Else drehte sich zu mir um. »Danke«, flüsterte sie. Im Mondlicht leuchteten ihre Zähne weiß. »Danke.«
Dieses eine Wort galt nicht nur unserem heimlichen Ausflug, sondern auch dem, was sie erlebt und gesehen hatte und ihrer sicheren Rückkehr. Das alles würde unser Geheimnis bleiben. Sie konnte es Hans nicht erzählen und ich nicht meiner Mutter.
Sie verschwand in der Hütte, und ich stellte die Bretter wieder vor den Eingang, um sie zu verschließen, dann verabschiedete ich mich von Matthias und Maria, schlich heim und versuchte zu schlafen.
Die Gedanken tanzten in meinem Kopf, kreisten um all die Dinge, die Richard gesagt hatte. Ich fragte mich, was ich ihm anbieten konnte, damit er mir Latein beibrachte und mich von Schwester Johannita mit ihrem Stock befreite.
Gegen Morgen, als der erste Hahn krähte, fiel mir die Antwort ein.
Kapitel 3
Schwester Johannita verließ uns früh, nahm sich aber wie immer
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