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Die Nonne und der Tod

Die Nonne und der Tod

Titel: Die Nonne und der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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genügend Zeit, um unsere Milchsuppe zu essen und mit uns ein kurzes Gebet zu sprechen. Sie wirkte immer noch verstimmt, als sie sich von uns verabschiedete, ihren Wanderstab nahm und mit langsamen Schritten das Dorf verließ.
    Wir verbrachten den Vormittag in der Stube. Mutter zog die Kräuter, die sie am Vortag gesammelt hatte, mit einer Schnur auf, ich hängte sie an den Dachbalken. Es waren Gewürze darunter, Petersilie und Rosmarin, aber auch Heilkräuter wie Schafgarbe und Eisenhut und solche, die keinen Namen hatten und die ich nur an ihrem Aussehen erkannte.
    Ab und zu hörte ich Stimmen im Dorf, Kinderlachen und fröhlich klingende Glocken. Durch einen Spalt zwischen den Vorhängen sah ich den Kurzen und Matthias, wenig später Maria und einen jungen Gaukler namens Friedrich. Ihre Auftritte waren nicht so beeindruckend wie am Vortag. Sie jonglierten ein wenig mit Wollknäueln und Messern, gelegentlich hörte ich ein Lied. Ich nahm an, dass Richard sie geschickt hatte, um den Leuten im Dorf das Misstrauen zu nehmen. Sie klopften an Türen, sangen für die, die öffneten, und erklärten, wer sie waren. Nur an unsere Tür klopfte niemand.
    »Willst du nicht rausgehen und ihnen zusehen?«, fragte Mutter, als Matthias ein Lied anstimmte. Es war eine dieser Fragen, die einer vorsichtigen Antwort bedurften.
    Ich schüttelte den Kopf. »Nein. Ich habe mir deine Worte zu Herzen genommen. Meine Zukunft ist wichtiger als mein Vergnügen.«
    Mutter sah von ihrer Arbeit auf, musterte mich einen Moment und senkte dann den Blick wieder. »Du siehst müde aus«, sagte sie, ohne auf meine Antwort einzugehen. »Iss etwas von dem Bitterkraut links von dir, und wenn es dir zu viel wird, ein wenig Petersilie.«
    »Ja, Mutter.«
    Das Bitterkraut trug seinen Namen zu Recht. Es zog mir den Mund zusammen, bis ich glaubte, nicht mehr schlucken zu können, doch die Petersilie half nach nur zwei Bissen.
    »Es geht dir gleich besser.« Mutter reichte mir eine Schnur voller grüner Pflanzen. Das ganze Zimmer roch nach Minze. »Hast du schlecht geschlafen?«
    »Ja. Schwester Johannitas Schnarchen hat mich wach gehalten.« Ich log nicht gern, und doch schien ich an diesem Tag nichts anderes zu tun.
    Mutter lächelte. Sie war in einer guten, entspannten Stimmung. Ich stellte mich auf die Zehenspitzen und knotete ein Ende der Schnur um einen Dachbalken. Dabei beobachtete ich sie aus den Augenwinkeln und fragte mich, ob ich riskieren sollte, die Sache mit meiner Mitgift zur Sprache zu bringen.
    »Was Schwester Johannita betrifft …«, begann ich, aber ein leises Klopfen an der Tür unterbrach mich.
    Mutter stand auf. »Wenn das ein Gaukler ist, gehst du sofort nach hinten«, sagte sie. Dann zog sie die Tür auf.
    »Gott zum Gruß«, sagte Richard.
    Ich ließ die Schnur los, und sie baumelte vor meinem Gesicht.
    »Ketlin«, sagte Mutter, ohne ihm zu antworten.
    Ich senkte den Blick und ging ins Nebenzimmer. Der Geruch nach Minze und Lavendel folgte mir, als ich die Tür schloss. Nervös legte ich das Ohr ans Holz und lauschte. Hatte ich Richard gesagt, dass ich heimlich auf die Allmende gekommen war, genau wie Else? Ich wusste es nicht mehr.
    Das Holz der Tür war so dick, dass ich die Stimmen zwar hören, aber die Worte nicht verstehen konnte. Zuerst sagte Mutter etwas, sehr kurz, aber es klang ärgerlich, dann sprach Richard, länger und ruhiger. Ich rechnete mit dem Schlimmsten, wartete darauf, dass die Tür aufgerissen wurde und Mutter mich schreiend und weinend in die Stube zerrte, doch die Stimmen redeten weiter, wurden ruhiger und leiser.
    Nach einer Weile begann mein Ohr zu schmerzen. Ich trat ein paar Schritte zurück und setzte mich auf unser Lager. Die Matratze bestand aus einem mit Stroh gefüllten Sack, und auf dem lagen ein dünnes Leinentuch und einige Decken.
    Ich legte mich darauf und wartete. Der Raum roch immer noch nach Schwester Johannita. Es gab nur ein winziges Fenster, mehr einen Spalt in der Rückwand, den ein Vorhang verdeckte. Im Sommer zogen wir den Vorhang auf, damit die Sonne uns wecken konnte, im Winter war es meistens Mutter, die vor mir aufwachte und mich vom Lager trieb.
    Ich fragte mich, worüber sie und Richard im Nebenraum sprachen. Dass sie sich etwas zu sagen hatten, was länger als ein paar Sätze in Anspruch nahm, war kaum vorstellbar.
    Und doch dauerte das Gespräch an. Die Stimmen wechselten sich ab, ich hatte nicht den Eindruck, dass einer auf den anderen einredete. Nur zu gern hätte ich ihnen

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