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Die Nonne und der Tod

Die Nonne und der Tod

Titel: Die Nonne und der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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jünger, aber verhärmt und dürr. Sie hatte neun Kinder geboren, sechs waren gestorben. Sie betete oft stundenlang für die überlebenden. Man konnte es hören, wenn man abends an ihrer Hütte vorbeiging.
    »Magda, weißt du, warum die Versammlung einberufen wurde?«, fragte Jupp.
    Ich wartete auf Mutters Antwort, aber sie hob nur die Schultern.
    »Es gibt bestimmt Krieg.« Anne zog ihren alten, fleckigen Umhang enger um ihren Körper. Ihre Ellenbogen stachen aus dem Stoff heraus wie Hühnerknochen. Sie erwartete immer das Schlimmste.
    Jupp strich ihr über den Arm. »Wir werden sehen. Mach dir keine Sorgen.«
    Seine Stimme beruhigte sogar mich. Ich mochte Jupp. Er hatte ein freundliches, väterliches Gesicht und einen dichten, von grauen Strähnen durchzogenen Vollbart. Ich hatte ihn noch nie klagen gehört, selbst, wenn er vor Schmerzen kaum gehen konnte.
    Schon von weitem sah ich die Fackeln, die auf der Weide hinter Bauer Josefs Haus brannten. Kreisförmig hatte man sie in den Boden gerammt. In ihrer Mitte standen ein Holzstuhl mit hoher Lehne und eine Fußbank. Nach und nach versammelten sich die Dorfbewohner um den Fackelkreis herum, die Männer vorn, die Frauen und Kinder hinter ihnen.
    Mein Blick glitt zur anderen Seite des Weges, auf die Allmende, zu den Karren und Lagerfeuern der Gaukler. Ich sah keinen von ihnen, nur ihre Ochsen, die angepflockt grasten. Sie mussten sehen, was keinen Steinwurf entfernt von ihnen vorging, aber ich hoffte, dass sie so klug waren, sich fernzuhalten. Im Dorf mochte man es nicht, wenn sich Fremde einmischten.
    Ich blieb in einigem Abstand vom großen Holzstuhl entfernt stehen. Mutter ging weiter nach vorn, dorthin, wo die Männer standen, die ihr bereitwillig Platz machten. Mutter war die Einzige im ganzen Dorf, der das Land, auf dem sie lebte, gehörte. Alle anderen, sogar Josef, hatten ihres nur gepachtet. Sie hatte das Recht, dort vorne zu stehen, und es gab niemanden, der es ihr streitig machte.
    Fast alle Dorfbewohner waren gekommen, und so wurde es eng auf der kleinen Weide. Ich suchte nach Else und entdeckte sie ein Stück entfernt von mir zwischen ihren beiden Neffen. Sie hatte sich hingehockt, so als hoffte sie, dass Josef sie nicht sehen würde. Um mich herum unterhielt man sich über die Versammlung, die Gaukler und die Omen, die auf einen milden Winter hindeuteten. Noch immer zogen Vogelschwärme gen Süden, später als in den letzten Jahren, was ein gutes Zeichen war.
    Die Gespräche lenkten mich von meinen Gedanken ab. Mein Herzschlag normalisierte sich, die Angst wich. Trotzdem schluckte ich, als die Hintertür des Hauses – Josef nannte es das Haupthaus, aber niemand sonst – geöffnet wurde und der alte Bauer heraustrat. Seine ältesten Söhne, Knut und Adalbert, begleiteten ihn. Als sich Josef setzte, rückte Adalbert die Fußbank zurecht. Der alte Bauer streckte die Beine aus und faltete die Hände über seinem vorstehenden Bauch. Er trug hohe, blank polierte Lederstiefel, dunkle Leinenkleidung und eine fellbesetzte Weste. Sein Gesicht war rund, der Mund schmal und verkniffen. Er hatte einen grauen Backenbart, der sein Doppelkinn einrahmte.
    Adalbert und Knut hatten sein Aussehen und nicht das ihrer verstorbenen Mutter geerbt. Adalbert wurde bereits kahl, Knut dick.
    »Das geht so nicht weiter!«, sagte Josef so laut, dass die Gespräche um mich herum sofort verstummten. »Wir müssen etwas unternehmen!«
    Ich sah Schulterzucken und verwirrte Blicke.
    »Wovon redest du?« Jupp sprach aus, was sich wohl alle fragten.
    Josef machte eine Handbewegung in Richtung der Allmende. »Von diesem fremden Volk, das auf unseren Wegen bettelt und euer Weibsvolk verdirbt. Wie lange wollt ihr euch das noch ansehen?«
    Seine Worte stachen in meinem Magen. Meinte er Else und mich?
    »Er redet von den Gauklern«, erklärte Knut laut. »Sie …«
    Josef warf ihm einen Blick zu, der ihn sofort zum Schweigen brachte. Irgendwo kicherte ein Mädchen.
    »Natürlich rede ich von den verdammten Gauklern, von wem denn sonst? Sie nisten sich auf unserer Allmende ein, als würde sie ihnen gehören. Ihre Ochsen fressen unser Gras. Das muss ein Ende haben.«
    Einige nickten zustimmend, andere runzelten die Stirn, als wüssten sie nicht, worüber er sich so aufregte.
    Jupp räusperte sich. »Also, ich sehe das anders«, sagte er. »Ist ja nicht so, als würden wir das Gras brauchen. Sollen ihre Ochsen es doch fressen.«
    Die beiden Männer mochten sich nicht. Mutter hatte erzählt, dass

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