Die Nonne und der Tod
zugehört, aber ich wagte es nicht, mich Mutters Befehl zu widersetzen.
Irgendwann schloss ich die Augen. Ich dachte, das Bitterkraut würde mich daran hindern einzuschlafen, doch als ich die Augen wieder öffnete, war es still im Nebenzimmer und so dunkel, dass sich die braune Holztruhe, in der wir unsere Kleidung und meine spärliche Mitgift aufbewahrten, kaum noch von der Lehmwand abhob.
Ich stand auf und ging zur Tür. Einen Moment lauschte ich, und als ich nichts hörte, öffnete ich sie. Mutter saß am Küchentisch und zog Kräuter auf eine Schnur. Außer ihr und mir war die Stube leer.
»Ich habe dich schlafen lassen.«
»Danke.« Ich setzte mich neben sie auf die Küchenbank und nahm mir eine Schnur. Die, die ich losgelassen hatte, als Richard im Türrahmen stand, hing immer noch von einem der Dachbalken. »Was wollte er?«, fragte ich.
»Wer?«
»Ri… der Gaukler an der Tür.« Ich hasste es, wenn Mutter so tat, als wisse sie nicht, wovon ich sprach, obwohl es offensichtlich war.
»Nichts Besonderes.« Sie schwieg und zupfte braune Stellen aus einem Strang Petersilie. Jahrelang hatte sie dieses Spiel mit mir gespielt. Ich wollte etwas wissen, sie verweigerte mir die Antwort, und ich musste betteln, bis sie schließlich nachgab. Doch in den letzten Monaten hatte ich damit aufgehört. Wenn sie es mir nicht sagen wollte, sollte sie es eben für sich behalten. Irgendwie würde ich es schon herausbekommen.
»Dann ist ja gut«, sagte ich und war froh, dass mir der Ärger, den ich empfand, nicht anzuhören war. Mutter runzelte kurz die Stirn, so als habe sie nicht damit gerechnet, dass ich mich dem Ritual ein weiteres Mal verweigern würde, dann machte sie mit ihrer Arbeit weiter.
Ich half ihr, hing die Schnüre auf und spannte sie, damit wir sie nicht versehentlich herunterrissen. Es war wichtig, dass man im Winter Kräuter hatte, auch getrocknet waren sie besser als gar nichts. In ein paar Wochen würde der Schnee über das Land kommen, dann würde man keine mehr finden können. Selbst eine so erfahrene Frau wie Mutter konnte nicht unter den Schnee blicken.
»Wenn du damit fertig bist«, sagte sie, »solltest du deinen Umhang ausschlagen. Ich möchte nicht, dass du wie die Tochter eines Tagelöhners aussiehst.«
»Wohin gehen wir denn?« Ich knotete die Schnur fest und drehte mich um.
Mutter setzte ihre Arbeit fort und antwortete, ohne mich anzusehen. »Zur Dorfversammlung. Josef hat Knut durchs Dorf geschickt, damit alle Bescheid wissen.«
»Eine Versammlung?« Das war keine Seltenheit und auch nicht besonders interessant. Normalerweise traf man sich in Josefs Scheune und redete stundenlang über die nächste Aussaat, die Ernte, wer was falsch gemacht oder vergessen hatte und wer im Sommer heiraten würde. Am Ende entschied Josef, was getan werden musste. Nur einmal war es in meiner Gegenwart vorgekommen, dass er sich geweigert und die Entscheidung unserem Herrn in der fernen Burg überlassen hatte. Das war vor ein paar Jahren gewesen, als der junge Clemens meine Freundin Aythe geschändet hatte. Gemeinsam mit ein paar anderen Männern des Dorfes hatte Josef Clemens zur Burg gebracht. Soweit ich wusste, war er dort hingerichtet worden, zumindest hatte Josef das später erzählt.
»Gibt es einen besonderen Grund dafür?«, fragte ich, als Mutter nichts weiter sagte.
»Den kannst du dir ja wohl denken.« Ihre Stimme klang scharf.
Mir schoss das Blut in den Kopf, als ich mir vorstellte, dass Else und ich der Grund sein könnten. Hastig nahm ich meinen Umhang vom Haken und ging nach draußen, damit Mutter meine geröteten Wangen nicht sah.
Ich schlug den Umhang mit einem Holzscheit vor der Tür aus. Das Dorf lag bereits im Halbdunkel, es war später Nachmittag. Überall kamen Leute zusammen, unter ihnen auch Else und Hans. Sie warf mir einen kurzen, unsicheren Blick zu. Ich lächelte, beruhigend, wie ich hoffte.
Josef wird nichts sagen , dachte ich. Er kann nichts sagen.
Trotzdem kaute ich nervös auf meiner Lippe herum, als Mutter hinter mir die Tür schloss und sich ihren eigenen Umhang über die Schultern legte.
»Komm«, sagte sie.
Ich folgte ihr durch das Dorf. Else und Hans waren bereits vorausgegangen, aber Jupp – der eigentlich auch Josef hieß, aber von keinem so genannt wurde – und sein Weib Anne schlossen sich uns an. Er war etwas älter als meine Mutter und litt unter Schmerzen in den Knien, weshalb er vor allem bei feuchtem, kaltem Wetter oft zu uns kam. Anne war deutlich
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