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Die Nonne und der Tod

Die Nonne und der Tod

Titel: Die Nonne und der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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das ist Else. Wir stammen aus dem Dorf.«
    Der Gaukler blieb vor uns stehen und streckte den Arm aus, in dem er die Fackel hielt. Die Wärme des Feuers strich über mein Gesicht.
    »Ja, ich erkenne euch wieder.« Er senkte die Fackel und deutete eine Verbeugung an. »Der Auftritt deiner Mutter, Ketlin, hat meinen weit übertroffen. Dafür sollte ich dir eigentlich böse sein.«
    »Ich hatte nicht die Absicht …«
    Sein Lachen unterbrach mich. »Mach dir keine Sorgen, ich bin nicht nachtragend. Kommt mit, wir freuen uns über jeden Gast.«
    Ich zögerte und hielt Else an der Hand zurück, als sie losgehen wollte. »Sind wir die Einzigen, die eure Einladung angenommen haben?«
    »Ja, so ist das manchmal eben, vor allem in kleinen Dörfern. Die Leute sind misstrauisch, wenn sie einen nicht kennen.« Der Gaukler zeigte mit seiner Fackel auf die Karren. »Wir haben ein warmes Feuer und dünnes, heißes Bier. Das teilen wir gern mit euch.«
    »Und wir haben Äpfel.« Else griff mit ihrer freien Hand in meine Schürze. »Aber nicht viele.«
    »Sechs Stück«, fügte ich hinzu.
    »Was immer ihr geben könnt.« Der Gaukler ging ein paar Schritte voran, aber ich blieb stehen und mit mir auch Else.
    Nach einem Moment drehte er sich zu uns um. Sein Blick glitt von Else zu mir, und seine Stimme wurde weicher. »Hast du Angst vor mir, Ketlin?«
    »Nein, aber …« Etwas in seinem Blick zwang mich, die Wahrheit zu sagen. »Meine Mutter will, dass ich einen anständigen Mann heirate und meinen Ruf nicht ruiniere. Es gehört sich nicht für zwei Frauen, nachts an einem fremden Feuer zu sitzen.«
    Ich hatte erwartet, dass er lachen würde, doch das tat er nicht. »Eine berechtigte Sorge.« Er kratzte sich am Kopf. »Ich möchte nicht dafür verantwortlich sein, dass deine Heiratspläne scheitern, obwohl niemand hier ist, der euch verraten würde. Und den Affen könnt ihr euch auch ein anderes Mal ansehen.«
    Er wandte sich ab.
    »Den was?«, fragte Else. Sie sah mich an, aber ich hob nur die Schultern. Ich wusste nicht, was das war.
    »Den Affen«, sagte der Gaukler, ohne sich umzudrehen. Ich musste mich anstrengen, um ihn zu verstehen. »Das ist ein sündiger Mensch, den Gott mit Kleinwuchs, Dummheit und Fell gestraft hat. Ihn sich anzusehen, kostet einen Pfennig, aber da außer euch niemand hier ist, würde ich eine Ausnahme machen.« Er hatte die Karren fast erreicht. »Gute Nacht.«
    Elses Blick traf den meinen.
    »Warte«, sagte ich und folgte dem Gaukler hinter die Karren.
    Er war winzig, nicht einmal so groß wie mein Unterarm lang. Ich saß neben Else auf der schmalen Kiste, die Richard – so hatte sich uns der Gaukler vorgestellt – ans Feuer gezogen hatte, und starrte den Affen an. Seine Augen waren dunkel und funkelten im Licht der Flammen. Er hatte ein grünliches langes Fell, das wie Laub wirkte, und ein haarloses Gesicht. Seinen Schwanz hatte er um Richards Hals gewickelt, in den kleinen Händen hielt er ein Stück Apfel. Während er daran nagte, sah er sich immer wieder um, als habe er Angst, jemand könnte es ihm wegnehmen.
    »Und das war wirklich einmal ein Mensch?«, fragte ich.
    Richard nickte. »Gottes Zorn kann furchtbar sein.«
    »Wieso hat Gott ihm das angetan?« Else saß so dicht neben mir, dass ihre Hüfte gegen die meine drückte. Seit wir am Feuer der Gaukler saßen, wirkte sie verschüchtert und sagte kaum etwas.
    Richard schnitt ein weiteres Stück des Apfels mit einem alten, schartigen Dolch ab. »Weil er ein schrecklicher alter Mann war, der sein Gold mit niemandem teilen wollte und die Bettler auf seiner Türschwelle verhungern ließ. Nun hat Gott ihm gezeigt, wie es ist, von der Gnade anderer abhängig zu sein.«
    Else reichte mir den Holzbecher mit warmem Bier, den wir uns teilten, aber ich schüttelte den Kopf und streckte langsam die Hand nach dem Affen aus. »Er sieht so traurig aus.«
    Richard öffnete den Mund, aber ein anderer Gaukler kam ihm zuvor. »Er ist nicht traurig, sondern verdammt wütend. Fass ihn an, und er beißt dir den Finger ab.«
    Erschrocken zog ich die Hand zurück.
    Richard schüttelte langsam den Kopf. Ich sah den Gaukler an, der mich vor dem Affen gewarnt hatte. Er hockte mit angezogenen Knien auf einer Kiste. Sein Kopf war groß wie der eines Erwachsenen, seine Arme und Beine kurz und pummelig wie die eines Kindes. Die anderen Gaukler nannten ihn »Kurzer«, ich wusste nicht, wie er wirklich hieß.
    Neben ihm saß ein Junge, der etwas älter als ich sein musste. Er

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