Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Nonne und der Tod

Die Nonne und der Tod

Titel: Die Nonne und der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
Vom Netzwerk:
durch Jacobs Gesundung gebannt war.
    Eckehart kehrte zurück und setzte sich neben mich. Er hatte sich in seinen Umhang eingehüllt und blies den Atem in seine Hände. »Bevor der Winter kommt, sollten wir uns vielleicht nach einer anderen Bleibe umsehen«, sagte er.
    Dythmar schöpfte Kohlsuppe aus dem Kessel in eine große Holzschüssel. »Wenn es wirklich eine Seuche gibt und wir sie überleben, werden wir so verdammt reich sein, dass wir uns ein Haus neben dem Scheißdom bauen können.«
    »Ja, wenn wir sie überleben …« Paul nahm den Würfelbecher und schüttelte ihn. Niemand sagte etwas auf seine Worte.
    Wir aßen zusammen, dann brachte ich Jacob eine kleine Schüssel mit Suppe und einem Laib Brot. Ich weckte ihn nicht, sondern stellte alles neben ihn auf den Hocker.
    Während ich weg gewesen war, musste er sich seinen Rucksack geholt haben, den einzigen Gegenstand, den er mitgebracht hatte und den wir auf seine Bitte hin nicht verbrannt hatten. Er lehnte offen an der Wand, und ich sah die Pergamentstücke, die aus ihm ragten. Sie waren sehr eng und mit sehr kleinen Buchstaben beschrieben.
    Ich zögerte, bevor ich sie aus dem Rucksack zog. Das Pergament war bereits mehrfach abgekratzt und an vielen Stellen eingerissen. Es waren über ein Dutzend Seiten. Kein Wunder, dass ich keinen einzigen Ring mehr an Jacobs Fingern sah; die musste er verkauft haben, um sich Pergament und Tinte leisten zu können.
    Die Seiten waren in einer Mischung aus Latein und Deutsch beschrieben. Es gab kleine Zeichnungen zwischen den Worten, an einer Stelle ein menschliches Auge, an einer anderen eine Knochenhand. Ich verstand nicht alles, was ich las, mein Latein war zu schlecht und Jacobs Handschrift unleserlich, aber ich erkannte rasch, dass es zumeist Behandlungsmethoden waren oder die Eigenschaften des menschlichen Körpers beschrieben wurden. Deswegen also war Jacob heimlich aus Coellen geflohen. Ich spürte einen kurzen Stich der Eifersucht, als ich daran dachte, wie glücklich er dort gewesen sein musste. Ich sah es sogar an seiner Schrift.
    »Lies es«, sagte Jacob plötzlich.
    Ich zuckte zusammen. »Ich wollte nicht in deinen Sachen stöbern, entschuldige.«
    »Lies es und achte gut darauf.« Seine Augenlider flatterten. Er schlief bereits wieder ein. »Es ist das Wertvollste, das ich besitze.«
    Ich steckte die Pergamente zurück in den Rucksack, nahm ihn und zog mich damit in meine Schlafstätte zurück. Dort stellte ich eine Öllampe auf den Hocker neben meinem Lager und begann zu lesen.
    Nach der zweiten Seite waren meine Gedanken erfüllt von halb verstandenem Wissen und fremden Ideen. Auf einmal war ich froh, dass die Soldaten mein Buch gefunden hatten, bevor ich es Jacob schenken konnte. Verglichen mit dem, was ich in Händen hielt, hätte es gewirkt wie das Gestammel eines kleinen Kindes.
    Als mir die Augen immer wieder zufielen, verstaute ich die Pergamente wieder in dem Rucksack und legte ihn unter meinen Kopf. Er roch nach Leder und ein wenig – das bildete ich mir zumindest ein – nach Jacob. Ich schmiegte meine Wange daran und begann zu träumen.
    »Hilfe!«
    Im ersten Moment glaubte ich, die Stimme käme aus einem Traum, der bereits verwehte, doch dann wiederholte sich der Ruf.
    »Helft uns! Bitte!«
    Überall in der Höhle wachten Menschen schnaufend auf. Ich schlug die Decke zurück und verließ meine Schlafstatt. Richard und Czyne kamen im gleichen Moment aus dem Gang geeilt, der in die Herrenhaus-Höhle führte. Richard war barfuß und trug nur eine Hose, Czyne schob gerade erst ihre Hand in den zweiten Ärmel ihres Unterkleids.
    Doch das nahm ich nur am Rande wahr. Mein Blick richtete sich auf die Frau, die mit einem Bündel in den Armen und einem kleinen Mädchen neben sich in der Höhle stand.
    »Femeke?«, fragte ich.
    Das Haar hing ihr ins Gesicht, ihre Wangen waren gerötet. Sie atmete schwer, so als wäre sie gerannt.
    »Beatke ist krank.« Anklagend hielt sie mir das Bündel entgegen. »Georg hat uns aus dem Haus gejagt. Ich wusste nicht, wohin ich sonst gehen sollte. Bitte helft mir.«
    Eckehart schüttelte den Kopf. Er hatte sich eine Decke über die Schultern gelegt, und er war vollständig angezogen. »Wir haben gesagt, beim nächsten Kranken ist Schluss.«
    »Nein.« Paul trat einen Schritt vor, sodass er vor den Menschen stand, die einen weiten Halbkreis um Femeke gebildet hatten. »Wir haben gesagt, wenn noch einer krank wird, muss Ketlin gehen. Aber das gilt nicht mehr, weil sie Jacob

Weitere Kostenlose Bücher