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Die Nonne und der Tod

Die Nonne und der Tod

Titel: Die Nonne und der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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Aufwiegelei vierteilen lassen.« Wilbolt sah ihn noch nicht einmal an.
    »Aufwiegelei? Du bist nicht mein Herr.« Die Soldaten mit den gelben Schärpen murmelten zustimmend.
    »Hoch lebe Hubert!«, rief einer von ihnen.
    »Ich bin der Bürgermeister von Coellen!« Wilbolts Stimme donnerte über den Platz. »Ich bin euer aller Herr. Meine Autorität übersteigt die aller anderen Familien. Was ich euch befehle, ist Gesetz!«
    »Das ist nicht wahr!« Die gyr’schen Soldaten standen nun vor dem Trupp des Bürgermeisters. Dessen Männer wollten stehen bleiben, aber Wilbolt ging einfach weiter, und damit zwang er sie, dies ebenfalls zu tun, wenn sie ihn nicht aus ihrer Mitte entlassen wollten.
    »Fragt euren Herrn!«, rief Wilbolt. »Er wird es euch erklären.«
    Die erste Wache stieß mit dem Soldatenanführer zusammen. Metall rieb über Metall, als einer den anderen zur Seite schieben wollte. Ich hielt den Atem an, wartete darauf, dass ein Schwert gezogen wurde und der Kampf entbrannte. Die Trupps vermischten sich, keiner wollte dem anderen aus dem Weg gehen, und vor allem wollten Wilbolts Wachen ihren Herrn nicht ungeschützt vor die gyr’schen Soldaten treten lassen.
    »Das werde ich«, sagte deren Anführer.
    Wilbolt, eingeklemmt zwischen zwei weit größeren Wachmännern, drängte sich an ihm vorbei. Dann standen sie am Rande des Platzes, auf dem Gyrs Soldaten zurückblieben. Der Bürgermeister drehte ihnen den Rücken zu, und seine Wachmänner schützten ihn mit ihren Körpern. Ich sah, wie seine Schultern nach unten sackten und er sich mit zitternden Fingern über die Augen fuhr.
    »Ich bin gleich zurück«, sagte er zu seinen Wachen. Seine Stimme hatte ihre Autorität verloren, klang nur noch müde und klein.
    »Halte dich nicht zu lange auf, Herr«, antwortete ein Mann leise. »Ich traue der Sache nicht.«
    Wilbolt winkte ab, obwohl der Soldat das nicht sehen konnte. Dann streckte er sich und zog die Weste unter seinem langen Umhang gerade. Vor meinen Augen wurde er von einem erschöpften, müden Mann zum Bürgermeister von Coellen.
    Meinem Vater, dachte ich und erschrak über den Stolz, den ich plötzlich empfand.
    Der Handschuhmacher stand noch immer in der Ladentür und sah ihm mit höflichem Lächeln entgegen. Seine Frau, die eben noch ihren Sohn vor mir versteckt hatte, trat an seine Seite, das Kind auf dem Arm.
    »Bürgermeister?«, sagte ich, als Wilbolt an der Gasse vorbeiging, in der ich mich zurückgezogen hatte.
    Seine Augen weiteten sich. Ich sah, wie sehr er erschrak, und betete, dass er nicht seine Wachen rufen würde.
    Er tat es nicht, musterte mich nur einen Moment und sagte: »Du hast Glück. Wenn Friedrich hier wäre, lägest du schon in Ketten.« Ich öffnete den Mund, aber er ließ mich nicht zu Wort kommen. »Dass du es wagst, mich anzusprechen, nach all dem, was ich für dich getan habe, nach allem, was du mir dafür zurückgegeben hast, bringt mich nur zu einer Schlussfolgerung.« Er sprach leise, beinahe flüsternd, aber jedes Wort war durchsetzt von Wut. »Du bist wirklich ein Kind des Teufels. Hätte ich früher gewusst, was aus dir werden würde, ich hätte dich höchstpersönlich aus dem Leib deiner Mutter geschnitten und euch beide verbrannt.«
    Ich blinzelte. Meine Zunge lag wie tot in meinem Mund.
    Seine Männer konnten mich nicht sehen, sahen nur, dass ihr Herr wie unschlüssig stehen geblieben war. Er sprach auch leise, sah mich nur aus den Augenwinkeln an, um sie nicht auf mich aufmerksam zu machen.
    »Ich werde dir nichts geben«, fuhr er fort, »egal, womit du mir drohst. Nun, da du das weißt, hast du mir noch irgendetwas zu sagen, bevor du für immer aus meinem Leben verschwindest?«
    Die Seuche ist in deiner Stadt, sagte ich in Gedanken.
    Er starrte mich an, ich starrte zurück, schluckte die Worte hinunter und sagte: »Nein.«
    »Das dachte ich mir.» Wilbolt ließ mich stehen. »Kommt!«, rief er seinen Soldaten zu. »Ich will nach Hause.«
    Der Trupp ging an mir vorbei, den Blick auf den Platz gerichtet, ohne mich zu bemerken. Die Soldaten nahmen Wilbolt in die Mitte, der auch dem Handschuhmacher keine Beachtung mehr schenkte, auch nicht der Schatulle in dessen Händen, die dieser ihm fast flehentlich entgegenhielt.
    Der Säugling auf dem Arm der Mutter begann zu weinen.

Kapitel 31
    Als ich den Innenhof erreichte und durch die letzten Reste verwehender Asche zur Falltür ging, begann ich bereits, mein Schweigen zu bereuen.
    Es lässt sich nichts mehr daran ändern ,

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