Die Nonne und der Tod
sagt, im ganzen Rheinland gäbe es keine bessere Armee.«
»Und wieso sind sie auf dem Rathausplatz?«
»Das ist die Einheit, die Hubert von Gyr zur Bewachung des Rathauses abgestellt hat. Die Armeen der Familien wechseln sich eigentlich wöchentlich ab, aber heute Morgen hat Wilbolts Einheit die Ablösung verweigert. Man munkelt, er traue den anderen Ratsmitgliedern nicht mehr. Nun ja …« Er zuckte mit den Schultern. »Er wäre auch nicht das erste Ratsmitglied, das sein Leben mit einem Dolch im Rücken beschließt.«
Ich sah zurück zu dem ansonsten leeren Platz. Die Soldaten gingen gerade auf das Rathaus zu. »Und jetzt?«
»Das werden wir sehen, wenn Wilbolt mit seinen Wachen auftaucht. Ich hoffe nur, dass ihm nichts zustößt. In meiner Werkstatt liegt ein Paar Handschuhe, die er für seine Frau bestellt hat. Wenn er sie mir tatsächlich abkauft, würde mir das wenigstens für ein paar Wochen das Leben erleichtern.«
»Ich werde dich und deine Familie in meine Gebete mit einschließen, Bruder.«
Er dankte mir mit einem Kopfnicken. Ich verabschiedete mich von ihm, blieb aber in der Nähe des Geschäfts. Vielleicht würde sich Wilbolt zu dem Handschuhmacher begeben, wenn er das Rathaus verließ.
Die Soldaten zogen stumm und wachsam wie Raubvögel ihre Runden auf dem Rathausplatz. Ihr Anführer, erkennbar an dem gelben Umhang, der an den Schultern seiner Rüstung befestigt war, sah immer wieder zur verschlossenen Tür des Rathauses. Die Wachen, die davorstanden, Männer in leichten Rüstungen und mit blauen Schärpen, starrten an ihm vorbei, doch nun, da ich die Situation kannte, bemerkte ich ihre Nervosität. Einer von ihnen drehte auf einmal den Kopf, als habe er einen Befehl aus dem Inneren des Rathauses erhalten, dann nickte er den drei anderen zu, und gemeinsam nahmen sie rechts und links der Tür Aufstellung.
Auch die Soldaten auf dem Platz reagierten. Sie sammelten sich und nahmen in einer Zweierreihe Aufstellung; ihr Anführer legte die Hand auf sein Schwert. Der Bettler an der Hausfassade nahm seine Krücken und kämpfte sich hoch. Schwerfällig humpelte er auf eine der Gassen zu. Außer den Soldaten befand sich nun niemand mehr auf dem Platz.
Die Tür wurde von innen geöffnet, beide Flügel schwangen auf, und ein halbes Dutzend Soldaten trat heraus, gefolgt von Bürgermeister Wilbolt und einem weiteren kleineren Trupp Wachen. Diejenigen, die an der Tür gestanden hatten, schlossen sich ihnen an und gingen mit ihnen die Treppe hinunter.
Ihnen stand ungefähr die gleiche Anzahl Soldaten gegenüber, doch ein Kampf wäre trotzdem nicht ausgeglichen gewesen, das ahnte nicht nur ich, sondern auch die Männer in ihren Rüstungen. Auf einer Seite sah ich Zuversicht und Entschlossenheit, auf der anderen, nämlich der des Bürgermeisters, Beklommenheit und Angst.
Der Anführer von Gyrs Soldaten trat vor. »Bürgermeister Wilbolt!«, rief er so laut, dass man es bis in die Gassen hinein hörte. Ich sah Gesichter in den kleinen Fenstern der Häuser rund um den Platz auftauchen. »Warum trittst du unsere Ehre mit Füßen?«
Der kleine Trupp um Wilbolt blieb nicht stehen, sondern ging langsam weiter. Mein Herz schlug schneller, als ich sah, dass sie auf die Gasse zukamen, in der ich stand. Rasch verbarg ich mich in einer Lücke zwischen zwei Häusern.
»Willst du mir nicht antworten, Bürgermeister?«
Wilbolt drehte sich zu ihm um, während er weiterging. »Auf deine Frage gibt es nur keine Antwort, weil Ehre bei meiner Entscheidung keine Rolle gespielt hat.«
»Dann war es also eine ehrlose Entscheidung?«
Einer der Zuschauer in irgendeinem Fenster am Rande des Platzes lachte.
»Es ist mir egal, ob du sie für ehrlos hältst oder nicht«, sagte Wilbolt und klang dabei so gleichgültig, dass ich ihm glaubte. »Du hast nicht darüber zu befinden.«
Sein Widersacher trat vor. Ich schätzte, dass er ein Dutzend Schritte brauchen würde, um Wilbolt den Weg abzuschneiden. Seine Männer folgten ihm.
Die Schritte des Bürgermeisters wurden beinahe unmerklich schneller, die seiner Soldaten ebenfalls.
»Dann interessieren dich die Gesetze und Abkommen unserer Stadt also nicht, Bürgermeister?«
»Das werde ich gern mit meinen Ratsbrüdern besprechen, aber bestimmt nicht mit dir.«
»Und wenn ich darauf bestehe?«, fragte der Anführer der gyr’schen Soldaten, und seine Stimme nahm einen unangenehm drohenden Klang an. Er und seine Männer hatten Wilbolts Trupp fast erreicht.
»Dann werde ich dich wegen
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