Die Nonne und der Tod
den Rat bilden und der Rat die Stadttore hat schließen lassen, warum schmuggeln sie, anstatt die Tore einfach wieder zu öffnen?«, fragte Jacob.
»Weil sie auf diese Weise höhere Preise verlangen können.« Richard blieb an einem der Stände stehen und nahm einen Kohlkopf aus einer der Kisten. Er war halb verfault. »Aber das wird nicht mehr lange funktionieren.«
Er ließ den Kohl fallen und wischte sich die Hand an seinem Umhang ab.
Wir gingen an den Ständen entlang und suchten nach Kräutern. Ich fand Minze und zu Richards Erheiterung Petersilie, aber kaum etwas anderes, was ich gebrauchen konnte. Auf meine Fragen erhielt ich immer wieder die gleiche Antwort: »So etwas wirst du hier nicht finden, versuche es im Zisterzienserkloster, vielleicht geben sie dir etwas ab.«
»Das hat keinen Sinn«, sagte ich schließlich.
Jacob wollte seine Kapuze in den Nacken schieben, nahm die Hand aber gleich wieder nach unten. Niemand sollte unsere Gesichter sehen. »Können wir sie dem Kloster nicht abkaufen?«, fragte er.
Ich hob die Schultern. »Mutter Immaculata hätte das nie erlaubt. Sie bestand darauf, dass alles, was in den Gärten wächst, entweder von uns verbraucht oder an die Armen verschenkt wird.«
»Aber Mutter Immaculata gibt es nicht mehr«, sagte Richard. »Nach allem, was ich mitbekommen habe, kann sich das unter Schwester Johannitas Herrschaft radikal geändert haben.«
»Du kennst sie?«, fragte Jacob überrascht.
Ich wollte Richard mit der Antwort zuvorkommen, aber er war schneller. »Ich durfte sie erleben, als Ketlin und ich im Klostergarten waren und dort Kräuter für dich gestohlen haben.«
»Oh.« Das war alles, was Jacob dazu sagte.
Das Wetter wurde schlechter. Der Wind nahm zu, aber die Luft war drückend und schwül, so als hätte jemand eine heiße Decke über die ganze Stadt geworfen.
»Was ist mit Erasmus?« Er war der Einzige, der mir einfiel. »Als Apotheker müsste er wissen, wo man Kräuter besorgen kann.«
»Das war früher so«, antwortete mir Jacob. »Aber irgendwann hörten die Lieferungen auf, wahrscheinlich weil er so geizig ist und entsprechend schlechte Preise zahlt. Seitdem kauft er das meiste fertig angerührt von Apothekern in Bonn und Aachen oder verzichtet einfach auf die Kräuter, die er vorher benutzt hat. Kurz vor meiner Abreise begannen sich Kunden bei ihm darüber zu beschweren.«
»Dann bleibt nur noch das Kloster«, sagte Richard. »Ich werde mich darum kümmern.«
Auf einmal kam Bewegung in die Menschen auf dem Domplatz. Viele von ihnen schritten in eine bestimmte Richtung.
»Der Bürgermeister wird eine Rede vor dem Rathaus halten«, hörte ich eine ältere Frau sagen.
Das kann nichts Gutes bedeuten, dachte ich, dennoch schlossen wir uns der Menge an.
Die Menschen strömten durch die Gassen, dem Rathausplatz entgegen. Es kamen immer mehr hinzu. Die Gesichter der meisten wirkten ernst, aber ich sah keine Angst darin.
Ein Gerücht machte die Runde. Angeblich würde Wilbolt die Öffnung der Stadttore verkünden. Niemand wusste, wer es in Umlauf gebracht hatte, aber es war das, was die Menschen hören wollten, also glaubten sie es.
Der Platz war bereits voll, als wir dort ankamen. In allen Fenstern sah ich Köpfe, Menschen drängten sich in den Gassen und versuchten, einen Blick auf Wilbolt zu erhaschen, der inmitten der Ratsherren vor den geöffneten Rathaustüren stand. Diese trugen ihre schweren Amtsketten und pelzbesetzte hohe Mützen.
Soldaten mit den Schärpen sämtlicher Familien standen am Fuß der Treppe, mit Schilden und Speeren bewaffnet. Sie hatten den Ratsherren den Rücken zugewandt und die Blicke auf die Menge gerichtet.
Wir fanden Platz vor einer geschlossenen kleinen Taverne. Der Wirt hatte die Fensterläden zugemacht und die Tür verriegelt, was ebenfalls kein gutes Zeichen war.
»Bürger Coellens«, begann Wilbolt, und es wurde still auf dem Platz. »Ihr habt viel erduldet, um unsere Stadt vor der Seuche zu bewahren, und ihr habt denen, die durch sie ihre Heimat verloren haben, Mitgefühl und Nächstenliebe entgegengebracht.« Er sprach von den Juden, die aus anderen Städten vertrieben und auf Befehl des Rats aufgenommen worden waren. »Wir …«, seine Geste schloss alle Ratsherren mit ein, »… sind noch nie so stolz auf unsere schöne Stadt gewesen wie in diesen letzten Wochen.«
»Mach endlich die Scheißtore auf!«, schrie ein Mann irgendwo in der Menge. Andere riefen ihre Zustimmung. Die Soldaten vor dem Rathaus wurden
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