Die Nonne und der Tod
…«
Die Tür flog auf. Erschrocken schrie ich auf.
Richard griff nach dem alten Dolch, der stets in seinem Gürtel steckte, Mutters Gesicht verschwand hinter dem Vorhang, der durch den plötzlichen Wind emporflatterte.
Anne stand im Türrahmen. Ihr Haar war zerzaust und voller Schnee. In ihren Augen flackerte es, als drohe sie den Verstand zu verlieren.
»Magda, bitte komm und sieh dir Jupp an«, sagte sie ohne ein Wort des Grußes. »Es geht ihm schlecht.«
Mutter stand auf. »Was hat er denn?«
»Ich weiß es nicht. Du musst mitkommen. Bitte.«
Ich erhob mich ebenfalls und nahm unsere Umhänge vom Haken. Mutter nahm mich meistens mit, wenn sie einen Kranken in seiner Hütte besuchte, damit ich zurücklaufen und die richtigen Kräuter holen konnte. Auch dieses Mal nickte sie, als ich den Umhang überwarf.
»Natürlich sehe ich ihn mir an, Anne, mach dir keine Sorgen.«
Anne zu bitten, sich keine Sorgen zu machen, war so, als würde man einem Fluss befehlen, nicht zu fließen. Sie konnte nicht anders. Sorgen gehörten zu ihr wie ihre Haut.
Wir verließen das Haus und eilten hinter ihr her den Weg hinunter. Aus den Augenwinkeln sah ich, dass sich Richard uns anschloss. Ich drehte mich um zu ihm. »Du kannst ruhig gehen. Das ist nicht deine Angelegenheit.«
Er hob die Schultern. »Ich bin viel gereist und habe alle möglichen Krankheiten gesehen. Vielleicht kann ich helfen.«
Es klang ehrlich. Innerlich freute ich mich, dass wir noch ein wenig Zeit miteinander verbringen durften, auch wenn es auf Jupps Kosten war.
Außer uns war niemand auf der Straße. Es schneite immer noch, winzige weiße Flocken, die vom Wind durch das Dorf getrieben wurden. Vor den Hütten bildeten sich bereits Verwehungen. Anne lief mit wehendem Umhang vor uns her. Erst als sie vor ihrer Hütte stehen blieb, fiel mir auf, dass sie keine Schuhe trug, nur einige um die Füße gewickelte Lumpen. Ich hatte noch nie darüber nachgedacht, wie arm sie und Jupp waren.
Sie wartete, bis auch wir die Hütte erreicht hatten, dann öffnete sie die Tür einen Spalt breit und schob uns ins Innere. »Schnell, bevor die Kälte reinkommt. Er friert doch so.«
Beißender Viehgeruch schlug mir entgegen. Ein Huhn flatterte aufgeregt davon, doch in der Dunkelheit erahnte ich seine Bewegungen nur. Der Wind heulte und pfiff durch die Lücken zwischen den Wandbrettern, und unter meinen Füßen knisterte altes, fauliges Stroh.
Hinter uns zog Anne die Tür zu und drängte sich an mir vorbei. »Hier liegt er«, sagte sie.
Ich sah nur Schatten. Irgendwo brabbelte ein kleines Kind.
»Habt ihr eine Ker…« Mutter unterbrach sich. »Nein, natürlich nicht. Ketlin, geh nach Hause und hol eine Kerze.«
»Ja, Mutter.«
Erleichtert stieß ich die Hüttentür auf. Als ich sie zuschlagen wollte, hielt sie jemand fest.
»Ich komme mit«, sagte Richard, der ebenfalls nach draußen trat. »Bei dem Wind wirst du Hilfe brauchen, um die Kerze anzuzünden. In der Hütte würde ich es nicht wagen.«
»Dann komm.« Mein Herz schlug schneller, als ich die Tür schloss, mich umsah und erkannte, dass wir zum ersten Mal wirklich allein waren.
Richard ging voran. Ich war kleiner als er und musste beinahe rennen, um Schritt zu halten.
»Warum tust du das alles?«, fragte ich.
Er sah mich an, wurde aber nicht langsamer. In der Dunkelheit wirkten seine Augen schwarz. »Was meinst du?«
»Du unterrichtest mich, du bist freundlich zu Mutter. Warum?«
»Ihr habt uns geholfen, und wie ich höre, bringt euch das mehr Schaden als Nutzen. Also gebe ich so viel wie möglich zurück.«
Ich runzelte die Stirn. »Von wem hast du das gehört?«
»Menschen haben Bedürfnisse.« Richard blieb vor unserem Haus stehen und trat sich den Schnee von den Stiefeln. »Und wenn diese Bedürfnisse befriedigt werden, reden sie.«
Ich dachte an Bauer Josef, doch dieses Mal errötete ich nicht. In letzter Zeit hatte ich Schlimmeres gehört.
Richard stieß die Tür auf und trat vor mir ein. Das Feuer im Kamin erhellte den Raum nur notdürftig, aber ich wusste auch so, wo ich zu suchen hatte. Ich ging an Richard vorbei ins hintere Zimmer. Die Holztruhe an der Wand enthielt all unsere Wertsachen, meine Mitgift, einen kleinen Beutel mit den Münzen, die wir bekamen, ein wenig Kleidung und mehrere Kerzen. Eine war zu zwei Dritteln abgebrannt, die nahm ich heraus. Ich zuckte zusammen, als ich Richard hinter mir spürte. Mit einem Knall ließ ich den Deckel der Truhe herabfallen. Niemand durfte
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