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Die Nonne und der Tod

Die Nonne und der Tod

Titel: Die Nonne und der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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Leben.
    Noch vor Sonnenaufgang weckte mich Mutter. Wir zogen uns an, dann setzte ich mich an den Küchentisch, und Mutter kämmte mein Haar, so wie jeden Morgen. Wortlos wuschen wir uns Gesicht und Hände, aber als ich nach einem Eimer griff, um die Ziegen hinter dem Haus zu melken, legte mir Mutter die Hand auf den Arm.
    »Später«, sagte sie. »Ich will sie nicht verpassen.«
    Ich nickte und setzte mich wieder. In meinem Magen kribbelte es, und meine Finger suchten unablässig nach etwas, mit dem sie spielen konnten. Sie fanden die Schnüre, die vom Vortag auf dem Tisch liegen geblieben waren, und begannen Muster aus ihnen zu bilden.
    Mutter wies mich nicht zurecht. Mit geschlossenen Augen saß sie mir gegenüber auf der Küchenbank, die Hände flach auf die Tischplatte gelegt. Ich nahm an, dass sie betete. Vielleicht hätte auch ich das tun sollen, aber der Gedanke entglitt mir immer wieder. Ich achtete auf die Geräusche, die von draußen in die Stube drangen, auf nichts anderes.
    Ein Ochse muhte.
    Etwas stach heiß in meinen Magen. Ich sprang auf. Der Stuhl, auf dem ich gesessen hatte, kippte um und knallte laut auf den harten Lehmboden.
    Mutter öffnete die Augen und stand auf. Mit einer Ruhe, die ich ihr nicht zugetraut hätte, strich sie die Falten aus ihrem Rock, legte sich den Umhang über die Schultern und zog sich die Kapuze über den Kopf. Ich warf mir meinen Umhang ebenfalls über, weniger elegant als sie und ohne jede Ruhe. Vor ihr ging ich zur Tür.
    Mutter nahm den Strick in eine Hand, mit der sich die Tür aufziehen ließ. »Du tust nur, was ich dir sage, verstanden? Und du redest mit niemandem, ohne dass man dich dazu auffordert.«
    »Ja, Mutter.« Ich hätte allem zugestimmt, wenn sie nur endlich die Tür geöffnet hätte. Obwohl es albern war, hatte ich Angst, die Gaukler zu verpassen.
    Doch die Angst war unbegründet. Als Mutter die Tür aufzog und das Haus vor mir verließ, bog der erste Karren gerade erst um die Ecke. Richard und der Kurze saßen auf dem Kutschbock, einige andere Gaukler gingen nebenher. Sie alle wirkten müde, und wenn ich ihre Gesichter richtig las, waren sie besorgt.
    Vor ihnen schritten Josef und Adalbert wie Eroberer über die Straße. Beide trugen einen Dolch im Gürtel. Der krumme Hans folgte ihnen mit einigen Schritten Abstand, auf eine Mistgabel gestützt. Ich nahm an, dass er sich auf Josefs Geheiß hin damit bewaffnet hatte.
    Mutter ging bis zur Mitte der Straße und blieb stehen. Das erste Licht des Morgens spiegelte sich in einer Pfütze vor ihren Füßen. Es musste in der Nacht geregnet haben. Ich sah mich nach den anderen Dorfbewohnern um, aber es war so früh, dass noch niemand seine Hütte verlassen hatte.
    Josef kniff die Augen zusammen, als er Mutter im Weg stehen sah. »Verschwinde, Magda! Die Entscheidung ist getroffen. Du kannst dir deine Worte sparen.«
    Doch Richard brachte bereits die Ochsen, die den Karren zogen, zum Stehen.
    »Es gibt nicht viel zu sagen.« Mutter stemmte die Hände in die Hüften. Sie war so viel kleiner und schmaler als Josef, sodass die Geste hätte lächerlich wirken müssen, doch das tat sie nicht. »Du vertreibst die Reisenden von der Allmende, also biete ich ihnen die Gastfreundschaft meines Hofes. Sie können bleiben, so lange sie wollen.«
    Einer der Gaukler – ich konnte nicht sehen, welcher – applaudierte.
    Josef sah Adalbert an, dann mich, schließlich Mutter. Er wirkte fassungslos. »Was? Du widersetzt dich der Entscheidung des Dorfvorstehers? Das ist …« Er suchte nach Worten.
    »Als würdest du dich unserem Fronherrn selbst widersetzen«, sagte sein Sohn. Die leichte Morgenbrise wehte ihm das schüttere Haar ins Gesicht. Ärgerlich strich er es zur Seite. »Dafür kann er dich an den Pranger stellen.«
    »Es ist mein Land, auf dem sie lagern werden.« Ich fragte mich, ob jemand außer mir das Zittern in Mutters Stimme hörte. »Der Rat der Stadt Coellen hat es mir überlassen. Nur ich habe darüber zu bestimmen, niemand sonst. Wenn unser Fronherr das nicht glaubt, werde ich ihm gern den Brief mit dem Siegel der Stadt Coellen zeigen.«
    »Den du für deine Hurerei bekommen hast!« Die Worte brachen aus Josef hervor.
    Er wollte auf Mutter zugehen, aber Adalbert hielt ihn zurück.
    Ich schlug die Hände vors Gesicht, konnte nicht glauben, was er gesagt hatte.
    Aber Mutter blieb ruhig stehen.
    »Ketlin«, sagte sie, »führe unsere Gäste zur alten Scheune. Mit ein wenig Geschick werden sie daraus ein gutes

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