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Die Nonne und der Tod

Die Nonne und der Tod

Titel: Die Nonne und der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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lachten, Kinder nahmen sich bei den Händen und tanzten zwischen Ochsenkarren und aufgescheuchten Hühnern, als sich ihre Angst mit einem Mal auflöste wie ein dunkler Traum beim ersten Sonnenstrahl. Wir alle kannten das Lied, das die Gaukler angestimmt hatten, und sangen die Strophen mit. Es ging darin um einen armen Tagelöhner, der die Tochter des reichsten Bauern der ganzen Gegend zu seiner Frau machen will. Wir sangen es oft bei der Arbeit.
    Ich nahm einige der kleineren Kinder bei der Hand und tanzte mit ihnen. Die Gaukler hatten ihre Ochsenkarren angehalten, tanzten und sangen mit uns, während sie auf ihren Instrumenten spielten. Unsere Stimmung war ausgelassen, spiegelte die Erleichterung wider, die wir nach dem unheimlichen Auftritt spürten. Ich glaube nicht, dass wir uns ohne diese Furcht so gefreut hätten.
    Meine Füße wirbelten Matsch und kleine Steine auf, der lange Wollrock, den ich trug, schlug bei jeder Drehung gegen meine Schenkel, das Haar hing mir ins Gesicht. Ich begann zu schwitzen, die Wolle stach und brannte auf meiner Haut, aber ich tanzte weiter. Aus den Augenwinkeln sah ich, dass der Mann mit dem Wanderstab als Einziger nicht mit uns tanzte, sondern auf der Deichsel des vordersten Ochsenkarrens stand und uns beobachtete.
    Soll er doch , dachte ich. Er sieht nichts Unanständiges …
    Mit einem lauten Knall krachte die Tür hinter mir gegen die kleine Holzbank vor unserer Hütte. Eine Hand griff nach der Kapuze meines Umhangs, die mir, ohne dass ich es bemerkt hätte, über die Schultern gerutscht war, und zog daran. Ich taumelte, ließ die Hände der Kinder los und rang einen Moment lang um mein Gleichgewicht. Die Hand zog weiter an meinem Umhang. Ich versuchte rückwärtszugehen, stolperte jedoch über meine eigenen Füße und lag im nächsten Moment im kalten, feuchten Matsch.
    »Mutter!«, schrie ich. »Hör auf!«
    Aber sie hörte nicht auf. Mit beiden Händen zog sie mich auf die Tür zu, ächzte und keuchte bei jedem Schritt. Ich wehrte mich nicht und ließ sie gewähren. Alles andere hätte es nur noch schlimmer gemacht. Die Dorfbewohner und Gaukler starrten mich an. Einige lachten. Ich wich ihren Blicken aus, spürte, wie meine Wangen heiß und rot wurden, und dann ertastete ich erleichtert den Holzboden unserer Hütte unter meinen Händen.
    Mutter ließ meine Kapuze los, stieg über mich und zog die Tür an dem Strick, der dort als Griff diente, zu. Schlagartig wurde es dunkel in der kleinen Küche. Der Vorhang vor dem kleinen Fenster über der Küchenbank blieb im Winter stets geschlossen, damit die Wärme der Feuerstelle nicht verflog.
    »Was hast du dir dabei gedacht?« Mutter stemmte die Hände in die Hüften. Sie war eine kleine, dünne Frau, die ihr Haar stets eng am Kopf geflochten trug. In den letzten Jahren war es grau geworden. »Habe ich eine Dirne erzogen?«
    Draußen vor der Tür spielten die Gaukler weiter. Ich war froh darüber. Normalerweise lauschte das halbe Dorf, wenn Mutter mich zurechtwies.
    Ich setzte mich auf. »Ich habe doch nichts Schlimmes gemacht, nur ein wenig …«
    Sie ließ mich nicht ausreden. »Getanzt hast du!«, schrie sie. »Mit offenem Haar vor fremden Männern.« Mutter fuchtelte umher, suchte wohl nach einem passenden Vergleich. »Wie die Hure Babylons!«, stieß sie dann hervor.
    Sie hatte mich schon öfter so genannt, und es traf mich jedes Mal. Unwillkürlich tastete ich nach meinem Haar. Es war feucht vom Regen. »Kein anderes Mädchen hat eine Haube getragen.«
    Es war die falsche Antwort, das begriff ich in dem Moment, als ich die Worte aussprach. Mutter brachte mich immer wieder dazu, das Falsche zu sagen.
    »Die anderen Mädchen haben dich nicht zu interessieren. Keine von ihnen hat dein Blut!«
    Ich setzte mich auf und versuchte, den Matsch aus meinem Umhang zu schlagen, aber er war zu nass. Ich rieb ihn nur tiefer in die Wolle.
    »Hör auf!« Mutters Tonfall wurde noch barscher als zuvor. »Verstehst du überhaupt, was ich dir sagen will?«
    Ich ließ die Hand sinken. »Ja, Mutter.«
    »Und warum handelst du dann nicht danach? Habe ich nicht nur eine Dirne, sondern eine dumme Dirne erzogen?«
    »Nein, Mutter.« Es war besser, sich nicht mit ihr zu streiten.
    Sie machte einen Schritt auf mich zu. Unwillkürlich zuckte ich zusammen, als sie sich bückte, aber sie schlug mich nicht, sondern setzte sich ebenfalls auf den Fußboden der Küche. Dann nahm sie meine Hand in die ihre und hob sie an ihre Brust. Ihre Finger waren beinahe so

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