Die Nonne und der Tod
zweiten. Und einen dritten. Für Mutter und mich blieb kaum etwas übrig.
Wir warteten, bis sie fertig gegessen hatte und sich zum Beten ins hintere Zimmer zurückzog, bevor wir unsere eigenen Näpfe nahmen und die Reste aus dem Kessel kratzten. Mutter lächelte, als ich unter die Küchenbank griff und einen in Stoff eingeschlagenen halben Brotlaib hervorholte. Wir kannten Schwester Johannita lange genug, um zu wissen, dass man Essen vor ihr verstecken musste, wollte man nicht hungrig schlafen gehen.
»Ich brauche nicht noch mehr Unterricht«, sagte ich leise. Durch die geschlossene Tür hörte ich Schwester Johannita beten. Wenn die Tage kürzer wurden, übernachtete sie bei uns. Es war zu gefährlich, im Dunkeln zum Kloster zurückzukehren, und wir hatten genügend Platz. Unser Strohlager befand sich in dem Zimmer hinter der Küche, ebenso wie der Schrank, in dem wir unsere Kleidung und Wertsachen aufbewahrten. Wir und die Familie von Bauer Josef waren die einzigen Menschen im Dorf, die nicht ständig nach Rauch und Vieh stanken. Alle anderen teilten sich das einzige Zimmer ihrer Hütten mit den Ziegen, Schafen und Hühnern.
Mutter legte ihren Holzlöffel beiseite und starrte einen Moment ins Feuer des Kamins. Schatten tanzten über ihr Gesicht. Draußen war es längst dunkel und ruhig geworden.
»Es ist wichtig, dass du Benehmen lernst«, erwiderte sie ebenso leise. »Und rechnen, solltest du einen Krämer heiraten. Sie schätzen Frauen, die etwas mit dem Kopf, der auf ihren Schultern sitzt, anzufangen wissen.«
»Wenn mein zukünftiger Ehemann meinen Kopf so sehr schätzt, wird er Schwester Johannita schon bezahlen.«
Mutters Mundwinkel zuckten, aber sie lächelte nicht. »Geh jetzt schlafen«, sagte sie. »Das Feuer geht bald aus.«
Ich stand auf und faltete die beiden Wolldecken auseinander, die Mutter vor Johannitas Ankunft aus unserem Zimmer geholt hatte. Wenn die Nonne übernachtete, schliefen wir in der Küche, Mutter vor dem Kamin, ich auf der Bank unter dem Fenster. Das gehörte sich so, hatte Mutter mir erklärt.
Wir zogen die Schuhe aus, wuschen uns die Hände in dem Wassereimer, der neben dem Kamin stand, und legten uns hin. Das Feuer knackte, Holzscheite glühten rot in der Dunkelheit. Ich spürte die Wärme des Kamins auf meinem Gesicht, schloss die Augen und lauschte auf die Geräusche des Abends.
»Ketlin?«
Ich zuckte zusammen. Die Stimme kam von der anderen Seite des Vorhangs und klang so dumpf, dass ich sie erst erkannte, als sie meinen Namen wiederholte.
»Ketlin?«
»Else?«, flüsterte ich und setzte mich auf. Meine Kleidung raschelte, und die Wolldecke, die ich im Halbschlaf zur Seite gezogen haben musste, rutschte zu Boden. »Was machst du hier?«
»Ich will mir die Gaukler ansehen.« Else wusste, dass ich in der Küche schlief, wenn meine Lehrerin im Dorf war. Wir führten nicht zum ersten Mal eine Unterhaltung durch den geschlossenen Vorhang. »Kommst du mit?«
Ich drehte den Kopf. Mutter war nur ein unförmiger schwarzer Schatten vor dem roten Glühen des Kamins; sie bewegte sich nicht.
»Ich darf nicht«, flüsterte ich zurück.
»Aber sie haben gesagt, dass wir dabei sein dürfen, wenn sie ihre Lieder üben. Und es kostet auch nicht viel, nur etwas zu essen wollen sie. Einen Apfel oder so.«
Den du natürlich nicht hast , dachte ich.
»Komm doch mit.« Elses Stimme klang flehend. »Ich würde sie so gern sehen, aber allein traue ich mich nicht.«
Ich dachte an den Mann mit den seltsamen Tätowierungen im Gesicht, an die Instrumente und all die wundersamen Dinge, die sich bestimmt in den Kisten auf den Ochsenkarren befanden. Ein Teil von mir wusste, dass Else mich nur fragte, weil sie einen Apfel brauchte, doch dem anderen, weitaus größeren Teil war das egal.
»Warte«, flüsterte ich, während ich bereits nach meinen Schuhen griff und die Decke wie einen Umhang über mich legte. »Ich komme mit.«
Auf Zehenspitzen verließ ich unsere Hütte.
Kapitel 2
»Wo lagern denn die Gaukler?«, fragte ich. Wir hatten uns so weit von unserer Hütte entfernt, dass ich es wagte, normal zu reden. Die Nacht war klar, aber nicht so kalt, dass ich den Atem vor meinem Gesicht hätte sehen können. Meine Schürze hatte ich zusammengerafft. Ein halbes Dutzend Äpfel lagen darin. Sie stammten aus einem Fass in unserem Vorratsschuppen. Die Ernte war so gut ausgefallen, dass weder Mutter noch Knecht Michael den Verlust bemerken würden. Trotzdem hatte ich ein merkwürdiges Gefühl bei
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