Die Nonne und der Tod
machte, wenn ich mehr vom Teller nahm, als es sich geziemte, oder mich in von Johannita erfundene Unterhaltungen einmischte, die eine Dame nichts angingen, schlug sie mir mit dem Stock auf die Fingerknöchel. In der ersten Zeit hatte ich häufig blaue Flecke auf den Händen, doch irgendwann verstand ich, was von mir erwartet wurde. Wie ein Kätzchen musste ich essen und wie ein Kalb mit großen Augen schweigend lauschen.
Das Lesen bereitete mir größere Freude. Ich lernte zuerst Buchstaben, dann Worte, dann ganze Sätze. Sie setzten sich in meinem Kopf zu Bildern zusammen, wenn Schwester Johannita sie mit ein wenig Kreide auf dem Schieferstück niederschrieb, das wir einem Mann aus dem Steinbruch abgekauft hatten.
An diesem Nachmittag musste ich die Namen von Heiligen niederschreiben, die Schwester Johannita, wie immer hinter mir stehend, mit monotoner Stimme diktierte.
»Abachum. Anastasius. Gervanius …«
Ich schrieb und wartete auf den Stock.
»… Pankratius. Nikomedes. – Gut.«
Beinahe hätte ich das letzte Wort auch noch geschrieben, dann fiel mir auf, dass Schwester Johannita mich gelobt hatte. Das geschah so selten, dass ich nicht daran gewöhnt war.
»Du machst Fortschritte, Kind«, sagte sie. Ich hörte, wie sie mit dem Stock leicht in ihre Handfläche schlug. Es klang, als würde sie klatschen. »Wenn deine Mutter uns weitere Stunden pro Woche gewähren würde, könntest du dich bald mit den reichen Kaufmannsfrauen in Coellen messen.«
Aus den Augenwinkeln sah ich zu Mutter hinüber, die all unsere Stunden von der Küchenbank aus verfolgte. Ich selbst saß auf einem Hocker in der Mitte des Raums, das Schieferstück lag auf meinen Knien.
»Ich glaube nicht, dass wir uns das leisten könnten«, sagte ich, als sie der Nonne nicht antwortete.
Schwester Johannita ging um mich herum. Ihre Holzschuhe schlugen bei jedem Schritt hart auf den Boden. Sie hatte den Stock wie einen Dolch in das Seil gesteckt, das sich um ihren Bauch spannte. »Gott hat dir den Verstand geschenkt, das geschriebene Wort zu verstehen.« Sie setzte sich neben Mutter auf die Küchenbank, beugte sich beinahe verschwörerisch zu ihr herüber. »Ich kenne andere … Höhere … bei denen das nicht so ist. Wäre es nicht eine Sünde, einen solchen Verstand brachliegen zu lassen wie einen ungepflügten Acker?«
Mutter senkte den Kopf und betrachtete ihre Hände. Sie waren rot und rau, hatten noch nie ein Stück Kreide gehalten oder gar damit geschrieben.
»Wenn«, begann sie, »Ihr die Zeit finden könntet, auf Eurem Weg zwischen Burg und Kloster ab und zu hier vorbeizukommen und meine Tochter zu unterrichten, würde ich es Euch mit einer guten Mahlzeit und einem warmen Bett vergüten.«
Schwester Johannita stieß den Atem durch die Nase aus. Ich kannte dieses Geräusch nur zu gut. Sie machte es immer, wenn sie enttäuscht war, und einen Moment lang erwartete ich, sie würde ihren Stock aus dem Gürtel ziehen und Mutter auf die Fingerknöchel schlagen.
»Keinen weiteren Pfennig ist dir deine Tochter also wert«, sagte sie stattdessen. »Das hätte ich nicht gedacht.«
Mutter zuckte kurz zusammen. Ich sah ihr Zögern und ahnte, dass sie nachgeben würde, auch wenn wir es uns nicht leisten konnten. Selbst Bauer Josefs Söhne hatten nie lesen und schreiben gelernt.
»Aber wenn es eine Sünde ist, den Verstand, den Gott mir gegeben hat, brachliegen zu lassen«, sagte ich rasch, bevor sie antworten konnte, »warum unterrichtet Ihr mich nicht umsonst, Schwester?«
»Weil das, was nichts kostet, auch nichts taugt.« Ihre Antwort verwirrte mich. Ich öffnete den Mund, um nachzufragen, aber Johannita kam mir zuvor. Sie verschränkte die Arme über ihrem Bauch und sagte: »Ich bin jetzt bereit für mein Abendessen.«
Mutter stand so schnell auf wie eine Magd, die von ihrem Herrn beim Schlafen erwischt worden war. »Ich kümmere mich sofort darum.«
Es klang unterwürfig, aber ich hörte den Ärger in ihrer Stimme. Hätte sich Johannita nicht als Einzige bereiterklärt, die uneheliche Tochter einer unverheirateten Frau zu unterrichten, wäre Mutters Antwort wohl anders ausgefallen.
Ich stand auf, um ihr zu helfen. Schweigend senkten wir den Kessel an seiner Kette über das Feuer. Der Eintopf darin war voller Gemüse, Knochenmark und Fett. In anderen Hütten wäre das ein Weihnachtsmahl gewesen, aber als wir Schwester Johannita schließlich den dampfenden Holznapf vorsetzten, aß sie ihn ohne ein Wort des Dankes leer. Dann einen
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