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Die Nonne und der Tod

Die Nonne und der Tod

Titel: Die Nonne und der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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der ganzen Sache, das ich mir nicht ganz erklären konnte. Vielleicht war es die Furcht, erwischt zu werden, vielleicht aber auch das schlechte Gewissen.
    »Auf der Allmende«, sagte Else. Sie war genauso alt wie ich, aber klein und mager wie ein Kind. Seit dem Sommer war sie mit dem Viertelhüfer Hans verheiratet, den alle wegen seines Buckels den krummen Hans nannten. Er war ein ruhiger, freundlicher Mann und für die Tochter eines Tagelöhners eine gute Partie.
    »Weiß Hans, wo du bist?«, fragte ich. »Hat er nichts dagegen, dass du nachts zu den Gauklern gehst?«
    Else war nicht das klügste Mädchen im Dorf. Es hätte mich nicht gewundert, wäre ihr dieser Gedanke noch gar nicht gekommen.
    Sie winkte ab. »Er schläft tief und fest. Wenn er den ganzen Tag Holz gehackt hat, fällt er abends um, als hätte man ihn selbst gefällt.«
    Die Allmende, die sich alle Bauern des Dorfs teilten, befand sich auf der anderen Seite des Dorfes, nicht weit entfernt von Bauer Josefs Haus. Der Boden taugte nur als Weide und lag im Winter, wenn das meiste Vieh geschlachtet worden war, brach. Wir gingen über die schmale, dunkle Straße zwischen schmalen, dunklen Hütten und lauschten in die Nacht hinein. Ich hörte nichts, keine Instrumente, keinen Gesang.
    »Bist du sicher, dass sie uns eingeladen haben?«, fragte ich.
    Else nickte, aber im Licht des Mondes wirkte ihr Blick verunsichert. Immer wieder sah sie sich um, als befürchte sie, beobachtet zu werden. Wir wussten, dass es sich für Mädchen und Frauen nicht schickte, allein unterwegs zu sein, schon gar nicht nach Einbruch der Dunkelheit.
    »Vielleicht sollten wir zurückgehen«, sagte ich. »Was wir tun, kommt mir nicht richtig vor.«
    »Nein.« Else berührte meinen Arm. Aufgeregt deutete sie nach vorn. »Guck doch mal, da hinten sind Feuer.«
    Sie hatte recht; ich sah den rötlichen Schein über der Allmende ebenfalls.
    Wäre Else nicht bei mir gewesen, hätte ich mich trotzdem zurück ins Haus geschlichen, aber sie zog mich am Ellenbogen weiter, redete von den Liedern, die wir gleich hören würden, und den Kunststücken, die man uns zeigen würde. Doch je näher wir der Allmende kamen, desto leiser wurde ihre Stimme, und als wir schließlich auf dem Weg standen, der an der Weide vorbeiführte, und auf die unförmigen Schatten der Ochsenkarren blickten, verstummte sie ganz.
    Irgendwo stöhnte jemand. Wir blieben stehen.
    »Und sie haben wirklich von heute Abend gesprochen?«, hakte ich nach.
    Else ließ meinen Arm los. »Ich dachte schon, aber vielleicht meinten sie auch morgen.«
    Das Stöhnen wurde lauter, dann sagte jemand mit rauer Stimme etwas, das ich nicht verstand, und das Stöhnen brach ab.
    Mein Herz begann wieder laut zu klopfen. »Dann kommen wir wohl besser morgen wieder, oder?«
    »Ja.« Else drehte sich so hektisch um, dass sie mir auf den Fuß trat.
    Erschrocken stieß ich sie an. »Pass doch auf!«
    »Wer ist da?«
    Dieselbe raue Stimme wie zuvor. Ich hörte Zweige knacken und Geflüster, konnte jedoch nichts erkennen. Die Feuer brannten auf der anderen Seite der Karren. Doch ich sah, wie sich ein roter Schein von ihnen löste und näher kam. Einer der Gaukler musste ein brennendes Holzscheit aus dem Feuer genommen haben und benutzte es als Fackel.
    Ich wich zurück.
    »Wer ist da?«, rief die Stimme erneut. Ich erkannte sie als die des Mannes mit den Tätowierungen.
    »Komm«, flüsterte Else. Sie hatte sich geduckt, so als versuche sie, sich hinter dem knöchelhohen Gras zu verstecken. Ich drehte mich zu ihr um, aber die Stimme des Gauklers hielt mich zurück.
    »Zeigt euch!«, rief sie. »Wir haben eine Hexe in unserer Truppe. Sie wird euch verfluchen, wenn ihr euch nicht zeigt!«
    »Nein!«
    Else und ich antworteten gleichzeitig. Wir hatten beide nicht vergessen, dass die alte Großmutter Gretchen von einem Schmied verflucht worden war, den sie nicht bezahlt hatte. Am Morgen darauf war sie aufgewacht und hatte nur noch die linke Hand bewegen können. Der Fluch des Schmieds hatte ihr alles genommen, sogar die Sprache. Nach diesem Morgen hatte sie nicht mehr lange gelebt. Wir wussten also, was Flüche ausrichten konnten.
    Der Fackelschein bewegte sich an den Karren vorbei auf uns zu. Else ergriff meine Hand und hielt sie so fest, dass es schmerzte.
    »Wer seid ihr?«, fragte der Gaukler. Mit langen Schritten ging er über die Wiese.
    »Mein Name ist Ketlin«, sagte ich. Meine Stimme zitterte, was mich wie ein kleines Mädchen klingen ließ. »Und

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