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Die Nonne und der Tod

Die Nonne und der Tod

Titel: Die Nonne und der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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konnten. Ich beneidete sie darum.
    »Hörst du mir zu, Ketlin?«
    Ich zuckte zusammen. »Ja, Schwester.«
    Johannita verzog kurz die Mundwinkel, als habe sie die Lüge in meiner Stimme gehört. Doch sie sagte nichts dazu. »Dann muss ich ja nicht noch einmal erwähnen, wie wertvoll die Materialien sind, mit denen du hier arbeiten wirst.«
    Sie schlug das Tuch auseinander und winkte mich heran, damit ich die Bibel darin betrachten konnte. Der Umschlag bestand aus Holz, das mit Leder überzogen war. Reich verzierte, kunstvoll verschlungene Buchstaben bedeckten ihn. Sie sahen aus wie goldener Efeu, der sich an einer Mauer emporrankte. Unwillkürlich streckte ich die Hand aus, aber Schwester Johannita schlug mir auf die Fingerspitzen, bevor ich das Buch berühren konnte.
    »Deine Dreistigkeit ist wahrhaft grenzenlos«, sagte sie und zog das Tuch mit einem Ruck über den Umschlag. »Weißt du überhaupt, was so ein Kodex wert ist? Das Pergament allein besteht aus der Haut von vierhundert Ziegen.«
    Ich versuchte nicht, mich zu rechtfertigen oder zu entschuldigen, dafür kannte ich Schwester Johannita zu gut. Stattdessen senkte ich nur den Kopf und verschränkte die Hände vor dem Schoß. Wie ein Unwetter zog ihr Zorn über mich hinweg.
    »Klara, Alfonsa, Benedikta«, sagte sie. »Ihr setzt euch dort vorn in die Fensternische. Nehmt die Pergamentreste von gestern und setzt eure Schreibübungen fort. Ketlin, du siehst ihnen erst einmal nur zu.«
    »Ja, Schwester.«
    Die drei Novizinnen nahmen Schreibbretter aus dem Regal, Gänsekiele und Pergamentfetzen, die man so oft abgeschabt und gewaschen hatte, dass sie fast durchsichtig waren.
    Benedikta drehte sich zu mir um. »Schreibst du mit links oder rechts?«, fragte sie leise. Sie war jünger als ich und hatte ein rundes, helles Gesicht mit grünlich blauen Augen.
    »Rechts.«
    Sie griff in einen der Holzbecher. »Dann musst du einen Gänsekiel vom rechten Flügel nehmen. Er ist besser für dich geeignet als einer vom linken.«
    Ich nahm den Kiel in die Hand und spürte, wie das Federende auf meiner Haut kitzelte.
    »Hier ist ein Stück Pergament«, fuhr Benedikta fort. »Nimm es, und übe darauf mit dem trockenen Federkiel. So habe ich es auch gemacht.«
    »Danke.« Ich folgte ihr zu der Nische, in der sich Klara und Alfonsa bereits hingesetzt hatten. Sie teilten sich ein Rinderhorn Tinte.
    Ich setzte mich ihnen gegenüber auf die zweite Holzbank in der schmalen Nische. Kalte Luft zog von draußen herein. Benedikta nahm neben mir Platz und reichte mir ein Schreibbrett. »Wir haben gestern angefangen, den Buchstaben E zu üben. Man muss darauf achten, dass der Buchstabe immer gleich aussieht, egal, wie der Kiel gerade gespitzt wurde oder die Seite liegt. Das ist gar nicht so einfach.«
    Alfonsa drehte den Kopf und flüsterte Klara etwas zu. Ein nur halbherzig unterdrücktes Grinsen huschte über ihre Gesichter, ohne dass sie aufblickten. Benedikta schien darüber verwirrt. Ich nahm an, dass sie die Geschichte oder angebliche Geschichte meiner Herkunft noch nicht kannte. Das würde sich ändern, da war ich mir sicher.
    Ich sah zu, wie Benedikta den Gänsekiel in die Tinte tauchte, ihn sorgfältig am Rand des Rinderhorns abstrich und zu schreiben begann. Ihre Buchstaben waren makellos. Zeile um Zeile füllte sich das Pergament mit dem rötlich braunen Buchstaben »E«.
    »Wir benutzen Dornrindentinte«, sagte Benedikta leise. »Das Pulver wird mit Wein aufgekocht, dann kann man einige Tage damit schreiben, bevor es eintrocknet. Man darf nicht zu viel kochen, sonst verschwendet man Tinte, und dafür ist sie zu wertvoll.«
    Am anderen Ende des Skriptoriums begann Schwester Johannita mit monotoner Stimme aus der Bibel vorzulesen. Die meisten Nonnen senkten die Köpfe und begannen zu schreiben, während andere vor einzelnen Pergamentseiten saßen und ihre Federkiele zurechtschnitten.
    Benedikta musste meinen Blick bemerkt haben. »Das sind unsere Illustratorinnen und Rubrikatorinnen. Sie sind für die Zeichnungen in den Schriften und die Textüberschriften verantwortlich. Das ist eine besonders schwierige und verantwortungsvolle Arbeit.« Beinahe sehnsüchtig sah sie zu einer älteren, dicken Nonne hinüber, deren Tracht bunt verschmiert war. »Schwester Constantia ist die Beste von allen. Ich wünschte, der Herr hätte mir nur eine Fingerspitze ihres Talents mitgegeben.«
    »Sie stinkt«, flüsterte Klara. »Und sie trinkt den Wein, den sie zum Tintekochen nehmen sollte.«
    »Das

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