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Die Nonne und der Tod

Die Nonne und der Tod

Titel: Die Nonne und der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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für sie ausgesucht hatte und für all die anderen, die an meinem Eintritt Anstoß nahmen. Ich fühlte mich auf einmal geborgen und aufgenommen. Diese strenge alte Frau setzte sich vor allen für mich ein.
    »Nur dann unterscheiden wir uns in seinen Augen«, fuhr sie fort, »wenn wir in guten Werken und in der Demut eifriger sind als andere. Der Abt soll also alle in gleicher Weise lieben, ein und dieselbe Ordnung lasse er für alle gelten – wie es jeder verdient.«
    Einen Moment lang blieb sie schweigend stehen, ließ die Worte in die Seelen der Anwesenden einsickern wie Regen in einen ausgedörrten Boden. Dann wandte sie sich mir zu.
    »Ketlin, du hast an unsere Tür geklopft, und wir haben dir Einlass gewährt. Nun stehst du hier im Angesicht des Herrn, der über uns alle wacht, um ein Teil unserer Gemeinschaft zu werden. Hörst du den Ruf Christi? Siehst du die Hand, die er dir in Liebe entgegenstreckt?«
    Meine Kehle wurde eng, meine Zunge schwer. Nichts hatte ich gehört, nichts gesehen, aber vielleicht – dafür wollte ich beten – würde das ja noch kommen.
    In dieser Erwartung nickte ich. »Ja, das habe ich.«
    »Dann bist du bereit, seinen Ruf zu erhören und seine Hand zu ergreifen?«
    »Das bin ich.« Die zweite Antwort fiel mir leichter.
    Mutter Immaculata sah mich an. Es wurde still im Saal. Ich wagte nicht, die Augen niederzuschlagen, obwohl ich glaubte, dass der Blick der Äbtissin bis tief in meine Seele reichte und die Lüge darin entdeckte.
    »Dann lege nun die Gewänder an«, sagte sie nach einer Zeit, die mir endlos erschienen war. »Von nun an wird das Leben dort draußen ohne Bedeutung für dich sein. Die Welt mit all ihren Makeln und all ihrer Grausamkeit lässt du hinter dir, um dich ganz der nächsten zu verschreiben. Dein ganzes Streben soll sich danach richten, zu einer Frau zu werden, die es wert ist, Braut Christi genannt zu werden.« Endlich wandte sie ihren Blick ab. »Lasst uns für Ketlin beten.« Mutter Immaculata nickte mir kurz zu, dann senkte sie ebenso wie alle anderen im Saal den Blick.
    Meine Hände zitterten, als ich mein Kleid auszog und begann, die Tracht anzulegen. Es war kalt im Saal, doch ich wusste, dass dies nicht der Grund für mein Zittern war.
    Schließlich blieb nur noch der Schleier. Mit klammen, unsicheren Fingern steckte ich ihn fest. Ein scharfer, stechender Schmerz schoss mir plötzlich durch den Kopf, als eine der Nadeln über meine Kopfhaut kratzte. Ich biss mir auf die Lippe, um nicht aufzuschreien. Tränen stiegen mir in die Augen und liefen mir über die Wangen.
    Mutter Immaculata hob den Kopf. Ihre Mundwinkel zuckten, als sie meine Tränen sah, so als wolle sie lächeln. Ich verstand nicht, warum.
    Schwester Johannita griff erneut in den kleinen Hängeschrank. Sie zog eine Holzschatulle hervor und reichte sie der Äbtissin. Die Schatulle war offen, ein Kreuz und ein hölzerner Rosenkranz lagen darin, und Mutter Immaculata nahm beides heraus und blieb vor mir stehen. Zuerst schlang sie den Rosenkranz um meinen Gürtel, dann hing sie mir das Kreuz um den Hals.
    »Wenn du vor Glück weinst«, flüsterte sie dabei so leise, dass niemand außer mir sie hören konnte, »dann wird dein Leben hier voll Freude und Zufriedenheit sein. Wenn nicht …«
    Sie ließ den Satz unvollendet und trat zurück. Ich spürte den Druck des Kreuzes auf meiner Brust.
    »Knie nieder.«
    Ich folgte dem Befehl. Der Stein fühlte sich unter meinen Knien nicht so hart an wie zuvor. Die dicke Wolle sorgte dafür.
    »Bleibe hier und bete, bis Schwester Johannita dich zur Morgenandacht abholt. Nach dem Frühstück wird sie dich in deine neuen Aufgaben einweisen.«
    Ich legte die Hände zusammen und schloss die Augen. Hinter mir raschelte Kleidung, als die Nonnen nach und nach den Kapitelsaal verließen.
    Eine Braut Christi, dachte ich. Hättest du das für mich gewollt, Mutter? Bist du zufrieden mit der Wahl, die ich getroffen habe?
    Sie antwortete nicht auf meine Fragen. Ebenso wenig wie Christus auf meine Gebete.

Kapitel 12
    Wir frühstückten im Refektorium. Konversinnen trugen Brot, Schmalz, Zwiebeln und Nüsse auf und stellten Krüge mit dampfendem Bier in regelmäßigen Abständen auf die langen Holztische. Ich setzte mich zu den anderen Novizinnen. Alle hielten die Köpfe gesenkt, aber ich sah, wie sie mich unter ihren Hauben hervor musterten.
    Wir dankten Gott für seine Großzügigkeit und seine Gnade, dann verließen die Konversinnen das Refektorium, und wir begannen zu

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