Die Nonne und der Tod
essen.
Nur hin und wieder und sehr, sehr leise wurde etwas gesagt, immer nur dann, wenn die Novizinnen an meinem Tisch glaubten, das Klappern der Holzschalen und Löffel würde ihr Flüstern übertönen. Ich konnte mir denken, über wen sie dann Bemerkungen machten.
Wahrscheinlich empfanden sie es als eine Unverschämtheit, dass ein Mädchen, das nicht von Stand war, mit ihnen am Tisch saß und nicht mit den Konversinnen den Raum verlassen hatte, den armen Nonnen, die in den Gärten, auf den Feldern und in der Küche arbeiteten, die wuschen, putzten, ernteten und säten.
Sie werden sich daran gewöhnen, dachte ich. Und schon bald wird es ganz normal sein.
Mutter Immaculata bestimmte das Ende des Frühstücks. Als sie sich erhob, standen auch alle anderen auf, egal, wie voll die Schüsseln noch waren.
Umgeben von ihren engsten Vertrauten verließ sie das Podest und ohne ein weiteres Wort auch den Saal. Die meisten Nonnen schlossen sich ihr an, nur rund zwanzig, darunter auch einige Novizinnen wie Klara, Alfonsa und ich, blieben zurück.
Schwester Johannita läutete eine Glocke, die neben ihr auf dem Tisch stand, und wartete, bis die Konversinnen, die in den Saal eilten, die Tische abgeräumt und sauber gewischt hatten. Ich sah mir ihre Gesichter an, ohne allzu auffällig zu starren. Die jüngsten waren Mädchen, kaum älter als zehn, die ältesten Frauen mit faltigen, verhärmten Gesichtern und trüben Augen. Ich stellte mir vor, wie sie ihr ganzes Leben an diesem Ort verbracht hatten, und biss mir auf die Unterlippe.
Ich hatte Glück, mehr Glück als mir bis zu diesem Moment klar gewesen war.
Schwester Johannita nickte mir zu. Ich trat aus der Reihe der Novizinnen heraus und blieb mit gesenktem Kopf und vor dem Schoß gefalteten Händen stehen.
»Ihr habt Schwester Ketlin ja bereits kennengelernt«, sagte Johannita. »Sie wird uns ab jetzt beim Kopieren der Schriften helfen. Ich erwarte, dass ihr sie in allen Dingen unterstützt.«
»Ja, Schwester.« Die Frauen antworteten gleichzeitig, keine von ihnen sah mich an.
Ohne ein weiteres Wort schritt Schwester Johannita an uns vorbei aus dem Refektorium. Wir folgten ihr durch einen langen Gang, dann die Treppe hinauf und in einen weiteren Gang. An seinem Ende befand sich eine einzelne Tür, die Schwester Johannita mit einem Schlüssel, der mit einer Kette an ihrem Gürtel befestigt war, öffnete.
Der große Raum, der dahinter lag, war geformt wie ein Hufeisen. In dem grauen Stein der Wände gab es ungewöhnlich viele Fensternischen, die teilweise mit schweren Vorhängen verdeckt waren. Rund zwei Dutzend Pulte beherrschten den Raum. Ihre Schreibplatten waren geneigt, ich sah handtellergroße Löcher an den Rändern, von denen ich nicht wusste, wozu sie dienten. Unter dem Pult befand sich eine kleine Fußstütze, davor ein Schemel, von denen ich annahm, dass auf ihnen die Schreiberinnen saßen.
Links neben der Tür stand ein geschlossener Eichenschrank, rechts ein Regal mit unbeschriebenen Pergamentseiten.
»Dies ist das Skriptorium«, sagte Schwester Johannita, während sie zum Schrank ging, ihn öffnete und halb beschriebene Seiten an die Nonnen verteilte. »Hier fertigen wir Kopien wichtiger Schriften an, zum Beispiel von Leihgaben anderer Klöster, die wir für unsere eigene Bibliothek gebrauchen, oder von Büchern, die sich ein Auftraggeber wünscht. Momentan schreiben wir diese Bibel …«, sie zog ein in Tuch eingeschlagenes Buch aus dem Schrank, das dick wie ein Baumstamm war, »… für den Grafen von Berg und einige Klöster ab.«
So vorsichtig, als fürchte sie, sie könne in ihren Händen zerfallen, trug Schwester Johannita die Bibel zu ihrem Pult, dem einzigen, von dem aus sie alle anderen sehen konnte. Neben mir zogen die Nonnen kleine Rinderhörner aus Löchern in den Regalbrettern des Schranks und trugen sie zu ihren eigenen Pulten. Dort steckten sie die Hörner in jene Löcher, die mir vorhin schon aufgefallen waren, und zogen die Holzpfropfen heraus. Ich sah darauf dunkle Tintenflecke.
Die Nonnen rückten die Pergamente zurecht, zogen kleine flache Messer aus ihren Gürteln und legten sie darüber. Dann gingen sie zum Regal und nahmen sich je eine der Gänsefedern, die dort in Holzbechern steckten. Manche hielten die Feder erst prüfend in der Hand, bevor sie sich für eine entschieden. Ihre Gesichter wirkten ernst und ein wenig entrückt, fast wie bei einem Gebet. Sie schienen etwas im Leben gefunden zu haben, in dem sie sich verlieren
Weitere Kostenlose Bücher