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Die Nonne und der Tod

Die Nonne und der Tod

Titel: Die Nonne und der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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warm. Ich lag im Gras, blickte in den blassblauen Himmel, zerrieb Waldmeisterblüten zwischen meinen Fingern und genoss ihren Geruch. Pflücken konnte ich die Pflanzen nicht mehr, denn wenn der Waldmeister blüht, verursacht er Kopfschmerzen.
    Mein ganzes Leben könnte ich hier liegen bleiben , dachte ich, mit der Wärme der Sonne in meinem Gesicht und dem leisen Plätschern des Teichs in meinem Rücken. Ich war nicht glücklich, das wusste ich, aber zufrieden. Und das war mehr, als ich mir lange Zeit hatte erhoffen dürfen.
    Es raschelte.
    Ich blinzelte und bemerkte erst in diesem Moment, dass ich eingeschlafen war. Die Sonne hing immer noch hoch über der Lichtung, es gab keinen Anlass zur Sorge, für den Rückweg würde ich nicht mehr als eine Stunde brauchen, ich hatte also Zeit.
    Erneut hörte ich es rascheln, dieses Mal länger, rhythmischer, so als bewegte sich etwas durchs hohe Gras. Nein, dachte ich auf einmal nervös, nicht etwas, jemand. Kein Tier lief so laut, so unelegant und zögernd. Das musste ein Mensch sein.
    In meinem Magen begann es zu kribbeln. Auf einmal wurde mir bewusst, dass ich mich ganz allein auf der Lichtung befand und dass ich Haube und Schleier abgelegt hatte, um keine Grasflecken darauf zu hinterlassen. Mit einer Hand griff ich danach, dann setzte ich mich vorsichtig auf, war jedoch darauf bedacht, dass man mich im hohen Gras nicht sehen konnte. Die Vögel hatten aufgehört zu singen, es war windstill und warm. Ich begann zu schwitzen, nachdem ich mir hastig Haube und Schleier wieder aufgesetzt hatte. Ich zog sie zurecht, bemühte mich, kein Geräusch dabei zu verursachen.
    Die Schritte kamen näher. Ich sah, wie sich das Gras rechts von mir bewegte, und dann Stiefel, die es niederdrückten.
    Ich hielt den Atem an, duckte mich noch tiefer, richtete dabei aber den Blick nach oben.
    Ein junger Mann ging an mir vorbei, so nahe, dass ich glaubte, seine Stiefel berühren zu können. Er war nur wenig älter als ich und sehr schlank. Sein erdfarbener Umhang war verblasst, das Hemd an den Ellenbogen geflickt, und der Hut, der seine dunklen Locken nach unten drückte, sah alt aus, so als habe er ihn von seinem Vater geerbt. Eine Hand hatte er auf eine große Kräutertasche gelegt, die er über der Schulter trug, und mit der anderen schob er das Gras auseinander. Sein Gesicht war bartlos und schmal und wirkte freundlich.
    Den Blick hielt er zu Boden gerichtet, und er war so konzentriert, dass er mich nicht bemerkte. Es sah aus, als würde er etwas Wertvolles suchen, das er auf der Lichtung verloren hatte, aber ich nahm an, dass er wie ich nach Kräutern und Heilpflanzen Ausschau hielt.
    Ich biss mir auf die Lippen, um ein Lächeln zu unterdrücken, als er an gleich drei dunkelblauen Blüten vorbeiging. Es war Blauer Eisenhut, doch das schien er nicht zu wissen. Der Saft war giftig, eine Essenz daraus half jedoch bei entzündeten Geschwüren und Wundbrand. Ich hatte ein paar der Pflanzen, die auf dem trockenen, ein wenig sandigen Boden des Klostergartens nicht wuchsen, mitnehmen wollen, doch nun ertappte ich mich dabei, wie ich aufstehen und ihm sagen wollte, was er gerade übersehen hatte, nur weil ich gern gewusst hätte, wie seine Stimme wohl klang.
    Ich erschrak bei dem Gedanken und spürte, wie mir das Blut in die Wangen stieg. Hastig wandte ich den Blick ab und blieb geduckt sitzen, bis ich seine Schritte nicht mehr hörte; erst dann wagte ich es aufzustehen. Ich war allein auf der Lichtung, und die Vögel sangen, als wäre nichts gewesen. Doch ich wusste, was geschehen war, was ich beinahe getan und vor allem, was ich gedacht hatte.
    Mit dem kleinen Messer, das ich immer dabeihatte, schnitt ich ein wenig Blauen Eisenhut ab und ließ den Rest stehen.
    Dann machte ich mich auf den Rückweg.
    Ich sprach mit niemandem über diese Begegnung, noch nicht einmal mit Vater Pius, der uns an diesem Abend die Beichte abnahm. Ich ahnte, dass er mir dann verboten hätte, noch einmal allein in den Wald zu gehen.
    Stattdessen begab ich mich am nächsten Morgen nach der Laudes zurück in meine Zelle, um allein zu beten, um Christus zu bitten, mir die unkeuschen Gedanken zu nehmen, die mich beinahe dazu verleitet hätten, wie eine Dirne einen fremden Mann anzusprechen. Dass ich etwas hatte tun wollen, was ich mir nicht erklären konnte, machte mir Angst.
    Ich mied die Lichtung fast eine Woche lang, doch schließlich bat mich Schwester Agnes um mehr Eisenhut, und so suchte ich diesen Ort wieder auf. Eine

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