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Die Nonne und der Tod

Die Nonne und der Tod

Titel: Die Nonne und der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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Weile blieb ich am Rand der Lichtung zwischen den Bäumen stehen, betrachtete den Teich und das Gras, bis ich sicher war, allein zu sein. Erst dann ging ich zu der Stelle, wo der Eisenhut wuchs. Er blühte dort immer noch. Das enttäuschte und erleichterte mich zugleich.
    Er ist nicht hier, dachte ich, während ich mich hinhockte und mein Messer aus dem Gürtel zog. Er hat nicht gefunden, was er suchte, deshalb wird er auch nicht wiederkommen.
    Als ich aufstand, sah ich ihn auf der anderen Seite des Teichs.
    Ich wollte mich ducken, aber da hatte er mich bereits bemerkt. Unsere Blicke trafen sich, und ich sah die Überraschung in seinem Gesicht. Ebenso wie ich musste er angenommen haben, allein zu sein, doch nun war da plötzlich eine Nonne. Er reagierte darauf, indem er sich umdrehte und mit langen Schritten die Lichtung verließ. Ich blieb stehen und sah ihm nach.
    Auf dem Weg zurück sah ich ihn noch einmal. Kurz vor dem Stadttor saß er auf einem Baumstumpf und aß Beeren von einem Zweig, den er abgebrochen hatte. Als er mich erblickte, zögerte er, dann nickte er knapp. Ich wandte den Kopf und ging durch das Tor.
    »Ketlin? Ketlin, träumst du?«
    Ich zuckte zusammen und sah von dem Beet auf, in dem ich kniete und Unkraut jätete. Benedikta stand vor mir, die untergehende Sonne im Rücken, sodass ich kaum mehr als ihren Umriss erkennen konnte.
    »Nein, natürlich nicht«, log ich und zwang meine Gedanken, von der Lichtung im Wald ins Kloster zurückzukehren. Ich hob die Hand, um mir die Augen zu beschatten, sodass ich Benedikta besser sehen konnte. »Was ist denn?«
    Es erschien mir seltsam, dass sie mich ansprach. Seit dem Beginn meiner Strafe hatte sie kein Wort mehr mit mir gewechselt.
    Benedikta spielte mit dem Rosenkranz an ihrem Gürtel. »Ich wollte dir nur sagen, wie sehr ich bewundere, was du tust. Dass du Christus nacheiferst und wie er dein Leben mit denen teilst, die am wenigsten haben.« Sie besah sich meine schmutzigen Hände und die dreckverschmierte Schürze. »Ich könnte das nicht.«
    Ich lachte. »Es bereitet mir Freude, so wie dir das Schreiben.«
    »Das macht deine Tat umso bemerkenswerter.« Benedikta hockte sich vor mich. Nach einem Moment des Zögerns nahm sie meine schmutzigen Hände in die ihren. »Dass dir eine so schwere Arbeit Freude macht, dass du sogar auf die Gebete verzichtest wie eine Konversin, zeigt mir, wie falsch es von mir war, dich zurückzustoßen. Christus hat dich als mein Vorbild erwählt, und ich hätte es beinahe nicht bemerkt. Kannst du mir verzeihen?« Ihre Stimme klang belegt, als kämpfe sie gegen die Tränen an.
    Es war mir unangenehm. »Wir alle dienen Gott auf unsere eigene Weise. Ich in den Gärten und im Wald, du im Skriptorium.«
    Sie schüttelte den Kopf. »Nein, was ich tue, ist nicht genug. Nicht verglichen mit den Opfern, die du bringst. Ich hätte mich nicht von dir abwenden sollen, als die anderen es taten. Ich hätte an deiner Seite stehen müssen und dich nicht verraten, bevor der Hahn dreimal kräht. Das war falsch, so falsch.«
    »Benedikta …«
    »Ich weiß nicht, wie ich das in den Augen des Herrn je wieder gutmachen soll.«
    Abrupt zog sie ihre Hände weg und stand auf.
    Ich wollte sie aufhalten, aber sie lief bereits auf die Kellertür zu.
    Einen Steinwurf entfernt sah Agnes von ihrer Arbeit auf. »Was war denn das?«
    »Ich weiß es nicht«, sagte ich verstört.
    Die Reue, die Benedikta zu empfinden schien, beruhte immerhin auf einer Lüge. Ich brachte kein Opfer, hatte im Gegenteil alles getan, um das Opfer, das ich hätte bringen sollen, abzuwenden. Dass sie sich mit mir verglich, war falsch, nur konnte ich ihr das nicht sagen.
    Agnes wischte sich den Schweiß von der Stirn, wo der Schmutz eine braune Spur hinterließ. »Ich weiß, dass du heute erst im Wald warst, aber Schwester Ysentrud könnte noch etwas Eisenhut gebrauchen. Also wenn du …«
    Ich ließ sie nicht ausreden. »Ich kann morgen früh gehen.«
    »So bald muss es nicht sein.«
    »Ich tue es gern.« Mein Kopf fühlte sich auf einmal leicht an. »Wirklich.«

Kapitel 16
    Zwischen uns fiel nie ein Wort.
    Wir sprachen nicht miteinander, wir kamen uns nicht näher als zehn Schritte, wir sahen uns nicht an. Und doch begegneten wir uns immer wieder. Manchmal stand er bereits auf der Lichtung, wenn ich sie betrat, ab und zu trafen wir uns im Wald, gelegentlich sogar auf dem Weg, der von den Feldern zu den Bäumen führte. Wenn das geschah, wandte er sich ab und nahm einen anderen

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