Die Nonne und der Tod
Weg, damit uns die Bauern auf den Äckern und die Soldaten auf ihren Türmen nicht zusammen sahen.
Ich entdeckte ihn häufig, bevor er mich bemerkte, und dann versteckte ich mich hinter Sträuchern, damit ich ihn ungestört beobachten konnte. In meiner Gegenwart verhielt er sich linkisch und ein wenig ungeschickt, warf mir immer wieder unter der Krempe seines alten Hutes Blicke zu und ließ mehr Pflanzen stehen, als er mitnahm, doch wenn er sich unbeobachtet fühlte, ging er mit Sorgfalt und Umsicht vor. Er verstand nicht viel von Kräutern, das fiel mir schon bald auf, denn er sammelte nur die, die jede Bäuerin kannte, und übersah viele, die weit nützlicher waren.
Während ich ihn hinter Sträuchern verborgen beobachtete, fragte ich mich, wer er war und weshalb er nach Pflanzen suchte, über die er so wenig wusste. Ich stellte mir vor, dass er der Sohn eines Gewürzhändlers wäre. Aber das konnte nicht sein, denn dann wäre seine Kleidung weniger zerschlissen gewesen. Nicht der Sohn, sondern der Lehrling, der darauf hoffte, eines Tages mit seinem Meister nach Konstantinopel reisen zu dürfen, der jedoch noch einen langen Weg vor sich hatte.
Der Gedanke gefiel mir.
Wenn ich Kräuter pflückte, ließ ich immer welche für ihn stehen, so wie er auch für mich. Wir hielten Abstand zueinander, aber ich war mir seiner Gegenwart stets bewusst, lauschte auf seine Schritte, sein Räuspern, das Klimpern des Metalls an seiner Ledertasche. Er folgte mir, wenn er dachte, dass ich es nicht bemerken würde, blieb manchmal vor Stellen stehen, an denen ich Pflanzen abgeschnitten hatte, als würde er sich fragen, was genau ich mitgenommen hatte.
Abends in der Zelle, wenn ich über den Tag nachdachte, fragte ich mich oft, weshalb ich keine Angst vor ihm empfand, weshalb es mich nicht verstörte, dass er mir folgte und nach mir suchte, aber ich fand keine Antwort darauf. Ich wusste nur, dass ich seine Nähe genoss und ihn vermisste, wenn er einmal nicht im Wald war. Er war mein Freund und mein Geheimnis.
»Ich werde heute mit dir gehen«, sagte Schwester Agnes eines Morgens, als ich in den Wald aufbrechen wollte. Normalerweise begleitete sie mich nur bis zur Pforte, um mich hinauszulassen, und ich hatte mich so daran gewöhnt, dass ich ein überraschtes »Was?« hervorstieß.
Agnes sah mich ungewöhnlich scharf an. »Behagt dir meine Gesellschaft nicht?«
»Doch, natürlich«, sagte ich, obwohl das Gegenteil der Fall war. »Ich wollte nur heute recht weit gehen, durch den Wald und bis zum Rhein hinunter, um die Ackerveilchen und den Bärenklau zu pflücken, der dort wächst.«
»Dann gehst du eben ein anderes Mal so weit.« Schwester Agnes zog die Pforte mit einem Knall hinter sich zu. Sie war schlecht gelaunt. »Wir werden Schafgarbe suchen. Mutter Immaculata hat mich darum gebeten.«
»Schafgarbe?« Ich runzelte die Stirn. Die Pflanze benutzte man vor allem bei Frauenleiden, für andere Krankheiten gab es wirkungsvollere Kräuter. »Ist die ehrwürdige Mutter nicht schon zu alt, dass sie Schafgarbe braucht?«
Mürrisch winkte Agnes mit schmutziger Hand ab. »Es geht nicht um sie, sondern um eine der Novizinnen, die sich anscheinend nicht traut, ins Hospital zu gehen. Und die sich zu fein ist, zu mir zu kommen.«
»Wer ist es?«
»Das weiß ich nicht, aber wegen ihr muss ich alles stehen und liegen lassen und durch den Wald laufen, als hätte ich nichts Besseres zu tun.«
Wir bogen zum Stadttor ab. Agnes war so wütend, dass sie hindurchging, ohne die Soldaten zu grüßen. Sie sahen uns kopfschüttelnd nach.
»Ich kann die Schafgarbe doch mitbringen«, bot ich an.
»Unsere ehrwürdige Mutter besteht darauf, dass ich selbst gehe. Sie befiehlt, ich gehorche, so ist das nun mal.«
Sie ging langsamer, als wir uns den Feldern näherten, und begann am Wegesrand nach der Pflanze zu suchen. Ich half ihr, hielt mit einem Blick jedoch Ausschau nach dem geheimnisvollen Fremden.
Es war ein trüber, grauer Tag. Die Wolken hingen tief, und auf den Wegen standen Pfützen vom Regen, der in der Nacht gefallen war. Das Licht schien die Farbe aus der Welt zu ziehen und ließ nur verwaschenes Grün und Braun zurück.
»Jemand war vor uns hier«, sagte Schwester Agnes nach einer Weile und zeigte auf einige abgeschnittene Stängel, die zwischen Grashalmen aufragten. »Findest du das lustig?«, wollte sie dann wissen, als sie meinen Blick sah. »Oder wieso lächelst du?«
Ich fühlte mich ertappt. »Nein, ich habe mich nur darüber
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