Die Nonne und der Tod
Fingern ihr Hemd zu schließen.
»Ich …«, begann ich, aber er ließ mich nicht ausreden.
»Hast du dich davongeschlichen, um wieder meinen Herrn zu belästigen?«, warf er mir mit strenger Stimme vor. »Fehlt dir die Demut, um Jesus Christus zu dienen?« Er klang regelrecht erzürnt.
»Nein, ich wollte Bürgermeister Wilbolt nicht aufsuchen«, verteidigte ich mich, »sondern Erasmus, aber er redet nicht mit mir.«
»Was willst du von Erasmus?« Mit beiden Händen stützte sich von Wallnen auf seinen Stock. In seinem gesunden Auge blitzte es. Ich verstand nicht, warum er so wütend auf mich war.
»Es geht um seinen Lehrling Jacob. Er ist außerhalb der Stadt unterwegs, und ich weiß nicht, wann er zurückkommt und wie er wieder nach Coellen gelangen soll, da doch die Tore geschlossen sind.« Ich hielt inne, als mir etwas klar wurde. Nicht Erasmus war es, der über Jacobs Schicksal bestimmte, sondern Wilbolt. »Der Bürgermeister könnte doch ein Papier für ihn ausstellen, eine Sondergenehmigung, damit die Wachen ihn wieder in die Stadt lassen.«
»Das soll er also dieses Mal für dich tun, ja?« Von Wallnen zog die Mundwinkel nach unten.
Ich nickte, versuchte mich von seiner Wut nicht einschüchtern zu lassen. »Nur um diese eine Sache möchte ich ihn bitten, um nichts anderes. Danach werde ich aus seinem Leben verschwinden, wenn er es wünscht.«
»Natürlich wünscht er es!«
Speichel benetzte mein Gesicht. Angewidert wischte ich ihn mit dem Ärmel meines Kleides fort.
»Dann soll er das auch bekommen«, sagte ich und sah von Wallnen so ruhig und entschlossen an, wie ich konnte. »Für das Schreiben, um das ich gebeten habe.«
»Warte hier.«
Von Wallnen drehte sich um und hinkte zu Wilbolt und seiner Familie. Meine Blicke folgten ihm. Er blieb neben dem Bürgermeister stehen und flüsterte ihm etwas ins Ohr, woraufhin sich Wilbolt umdrehte und in meine Richtung sah. Ich lächelte unwillkürlich. Er sah weg. Es versetzte mir einen Stich, obwohl ich hätte wissen müssen, dass ich keine Freundlichkeit von ihm erwarten durfte. Ich war ein Fehler, für den er mit Geld und einem Geheimnis, das er ein Leben lang mit sich tragen würde, gebüßt hatte.
»Was soll ich denn jetzt tun?«, sagte die Frau hinter mir im Durchgang plötzlich. Ich drehte mich zu ihr um. Tränen liefen ihr über die Wangen, ihre Augen waren geschwollen, die Nase gerötet. Den Umhang hatte sie mit beiden Händen vor der Brust zusammengerafft.
Ich hockte mich neben sie. »Geh nach Hause. Vergiss, was geschehen ist.«
Sie zog die Nase hoch. »Wie soll ich das jemals vergessen? Die ganze Stadt wird bald davon reden, und meine Familie …« Sie brach ab und schüttelte den Kopf. »Ich bin ruiniert.«
Ich dachte an die Mädchen im Kloster. »Sie werden eine Weile tratschen, bis etwas anderes geschieht, über das sie sich die Mäuler zerreißen können. Es wird nicht so lange dauern, wie du denkst.«
Die Frau glaubte mir nicht, das sah ich ihr an, aber sie widersprach nicht, sondern ließ sich von mir aufhelfen. Sie straffte sich, so als habe sie, woher auch immer, neue Kraft gewonnen. »Ich danke dir für deine Hilfe. Leb wohl.«
Mit seltsam steifen Schritten bahnte sie sich einen Weg durch die Menge, die sich nach und nach auflöste. Einige lachten oder stießen andere an und zeigten auf sie. Die Frau tat mir leid.
Ich hörte das rhythmische Klopfen eines Stocks auf dem Kopfsteinpflaster und wandte mich um.
»Er wird es tun«, sagte von Wallnen. »Ich habe ihm davon abgeraten, aber er wird dir diese …«, er zögerte, »… diese Bitte dennoch erfüllen.«
Über seine Schulter sah ich dorthin, wo Wilbolt mit seiner Familie kurz zuvor noch gestanden hatte, aber er war verschwunden. Wie gern hätte ich mich selbst bei ihm bedankt oder ihm wenigstens aus der Ferne zu verstehen gegeben, wie dankbar ich ihm war.
»Bitte sage ihm, wie viel mir das bedeutet.« Erleichterung lockerte mir die Zunge. »Damit rettet er Jacob vielleicht das Leben, und ich …«
Der Ausdruck, der in von Wallnens gesundem Auge lag, ließ mich abbrechen. »Ich werde ihm gar nichts sagen. Komm nach Sonnenuntergang in die Gasse der Metzger. Ein Bote wird dir die nötige Genehmigung geben und alles Weitere erklären.« Er warf einen Blick in den Durchgang. »Wo ist Cecilie?«
»Auf dem Weg nach Hause. Ich habe mit ihr gesprochen, und es ging ihr schon wieder besser.«
Die Wut kehrte in sein Gesicht zurück. »Ich habe doch gesagt, dass ich mich um sie
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