Die Nonne und der Tod
war nicht mehr zu sehen, und durch den langen Schnabel wirkte der ganze Mann unheimlich, geradezu dämonisch.
»Kannst du atmen, Franz?«, fragte Erasmus.
»Ja.«
»Und wie riecht es unter der Maske?«
Franz zögerte, musste wohl erst nach den richtigen Worten suchen. »Frisch und … nach Minze. Ein bisschen scharf, aber … nicht unangenehm.«
Erasmus half ihm vom Podest herunter und legte ihm eine Hand auf die Schulter. Die Menge teilte sich, als er den Ratsherrn auf eine Häuserfront zu führte. »Würdet du sagen, dass es besser riecht als die Abwasserrinne neben dem Rathaus?«
Die Menge lachte.
Franz nickte. Der lange Schnabel wippte. »Das kann man wohl sagen.«
»Möchtest du an der Abwasserrinne dort hinten riechen?«
»Nicht unbedingt. Ich …« Er sagte noch etwas, aber es ging im Gelächter der Menge unter.
Erasmus hob die Hand, und es wurde wieder still. »Würdest du es trotzdem für mich tun?«
»Wenn es sein muss.«
Ratsherr Franz ging weiter vorwärts. Er bewegte sich ein wenig unsicher, senkte immer wieder den Kopf, so als könne er nicht alles vor sich erkennen. Ein paar Schritte, dann blieb er vor der Rinne stehen. Sie war voll mit Kot und fauligen Essensresten. Fliegen summten über ihr.
»Hock dich hin und atme tief ein.« Erasmus reichte Franz seine Hand, damit der sich abstützen konnte, als er in die Knie ging. »Was riechst du?«
Der Vogelkopf neigte sich zur Rinne, kam ihr so nahe, dass mir beim Gedanken an den Gestank, der dort aufsteigen musste, fast übel wurde.
»Nichts«, sagte Franz. »Ich rieche gar nichts davon.«
Erasmus hob die Hand. Ich sah den Triumph in seinem Blick, als er sich der Menge zuwandte. »Habt ihr gehört? Nichts kann er riechen! Der widerliche Gestank dringt nicht an seine Nase, obwohl er frei atmen kann.« Er war größer als die meisten um ihn herum. Er blickte sich mit tückisch funkelnden Augen um. »Glaubt ihr, dass eine Seuche zu durchdringen vermag, was selbst den Gestank der Stadt zurückhält?«
Niemand glaubte es, auch ich nicht. Ich stellte mir vor, wie das Tuch im Schnabel der Maske die Seuche aus der Luft siebte wie eine Reuse Fische aus einem Fluss. Erasmus’ Erklärungen klangen so einfach, so logisch.
Franz nahm die Maske ab und wollte sogleich wissen: »Wie viel willst du dafür?«
»Ja, wie viel?«, rief eine rotgesichtige Frau neben mir. Ihre Stimme stach schrill in mein Ohr.
»Ich werde euch nicht langweilen, indem ich euch die Mühen und Kosten schildere, die ich auf mich nehmen musste, um dieses Werk zu vollbringen. Lasst mich euch nur versichern, dass mein Preis so niedrig wie möglich ist. Mein Diener Lorenz hält ihn sogar für viel zu gering.«
Der Diener, der mit hinter dem Rücken verschränkten Händen neben den Kisten stand, nickte und schwieg.
Die Menge wurde unruhig, doch bevor jemand die Frage noch einmal wiederholen konnte, sagte Erasmus: »Fünfzig Goldmünzen für die Maske, zwanzig für die Tinktur.«
Einige stöhnten laut, andere spuckten auf den Boden und wandten sich ab.
Doch erstaunlich viele blieben, vor allem die in den edlen Umhängen und mit den Stiefeln aus weichem Leder. Einige tuschelten miteinander, überlegten wohl, wie sie die gewaltige Summe aufbringen sollten. Siebzig Goldmünzen waren ein Vermögen.
»Ich nehme die hier«, sagte Franz und hob die Maske an, die er eben noch getragen hatte. »Mein Bote wird dir das Gold nachher bringen.«
Die Selbstverständlichkeit, mit der er von einer solchen Summe sprach, ärgerte mich. Sie erschien mir respektlos.
Erasmus neigte den Kopf. »Natürlich, Ratsherr. So können es alle halten, die ich von Angesicht zu Angesicht kenne. Lorenz wird eure Namen in sein Buch eintragen und euch die Mas…«
Er kam nicht dazu, den Satz zu beenden. Die Menge drängte nach vorn, auf Lorenz und die Kisten zu. Der Diener hatte bereits einige kleine, mit Lederriemen zusammengebundene Wachstafeln auf das Podest gelegt, aber ich bezweifelte, dass sie für all die Namen ausreichen würden.
Auch ich wurde von der Menge nach vorn gedrängt, und als ich versuchte, ihr zu entkommen, wurde ich auf Erasmus zugeschoben. Nun, da alle seinen Diener umringten, stand er ein wenig abseits.
Eine bessere Gelegenheit würde ich vielleicht nie mehr bekommen.
Die Menschen ließen mich bereitwillig durch, sobald sie erkannten, dass ich nicht versuchte, mich vorzudrängeln und ihnen die vielleicht letzte Maske streitig zu machen.
Dann stand ich vor Erasmus. Sein Blick glitt an mir
Weitere Kostenlose Bücher