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Die Nonne und der Tod

Die Nonne und der Tod

Titel: Die Nonne und der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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kümmere. Musst du dich denn in alles einmischen?«
    Abrupt wandte er sich ab und verschwand in der Menge.
    Wieso hasst er mich nur so sehr?, fragte ich mich. Schließlich war ich nicht seine Tochter. Im kurzen Blick des Bürgermeisters hatte ich zwar keine Freundlichkeit entdecken können, aber auch nicht eine solche Verachtung, wie sie mir Friedrich von Wallnen entgegenbrachte. Wie eine Fremde hatte mich Bürgermeister Wilbolt angesehen, nicht wie eine Feindin. Vielleicht hätten wir uns sogar auf der Straße gegrüßt, wenn wir uns unvermittelt begegnet wären. Von Wallnen hätte mich niemals gegrüßt, eher mit seinem Stock erschlagen wie eine Ratte. Ich verstand den Grund dafür nicht.
    Ich schüttelte den Gedanken ab. Es spielte keine Rolle. Sobald ich die Papiere hatte, würde ich ihn nie wieder um etwas bitten und ihm hoffentlich auch nie wieder begegnen.
    Es war ein warmer, angenehmer Sommertag. Die Wolken, die am frühen Morgen noch den Himmel bedeckt hatten, lösten sich im Sonnenlicht nach und nach auf, bis die Luft so klar war, dass die Farben der Stadt zu leuchten schienen.
    Ich ging an der Stadtmauer entlang, die Gedanken in die Zukunft gerichtet. Jeden Tag würde ich zu den geschlossenen Toren gehen und auf Jacob warten. Es gab insgesamt zwölf, aber nur vier kamen für einen Reisenden, der von Süden her den Rhein hinaufkam, infrage. Eines von diesen musste Jacob nehmen. In meinem Geist sah ich ihn vor den schweren Eisengittern stehen, erschöpft und staubig von der langen Reise. Die Soldaten würden ihn einlassen, er würde mich in seine Arme schließen, und dann …
    Ich hielt inne. Ja, was dann? Ich war keine Novizin mehr, hatte kein Geld und kein Dach über dem Kopf. Und er war nur ein Lehrling, der sich kaum selbst ernähren konnte, geschweige denn mich. Ich dachte an all das Gold, das Erasmus an diesem Morgen mit den Seuchenmasken verdient hatte, mehr als ich in meinem ganzen Leben sehen würde. Vielleicht würde er sich davon neue Diener leisten, und vielleicht, wenn Jacob ihn darum bat, würde ich zu ihnen gehören.
    Etwas anderes fiel mir nicht ein.
    In der Nähe des Severinstors fand ich eine kleine Taverne, vor der einige Holztische und Bänke standen. Einige Soldaten saßen an einem der Tische und tranken Bier. Ich setzte mich in den Schatten so weit weg von ihnen wie möglich, dann nahm ich die Vorräte, die ich aus dem Kloster mitgenommen hatte – gestohlen hatte , korrigierte mich eine innere Stimme –, und packte etwas Brot und Käse aus. Aus den Augenwinkeln sah ich den Wirt in der Tür stehen. Er bemerkte, was ich tat, aber es schien ihn nicht zu stören. Anscheinend war es ihm egal, wer sich auf seinen Bänken ausruhte, solange genügend für zahlende Gäste frei blieben.
    Ich aß, und hin und wieder nahm ich auch einen Schluck warmes dunkles Bier aus meinem Trinkschlauch. Die Soldaten auf der anderen Seite des kleinen Platzes unterhielten sich lautstark. Sie waren zu dritt, und ihre geröteten Gesichter ließen darauf schließen, dass sie schon einige Krüge geleert hatten.
    »Das geht nicht gut«, sagte einer und rülpste. Seine linke Gesichtshälfte war von einer wulstigen Messernarbe durchzogen. »Zuerst holen sie die Juden rein, dann schließen sie die Tore. Du holst doch auch nicht den Fuchs in den Hühnerstall und machst die Tür zu.«
    »Wir sind keine Hühner.« Der Soldat, der ihm gegenübersaß, schüttelte den Kopf. »Hühner sind feige.«
    »Du weißt, was ich meine.«
    Der dritte und jüngste Soldat räusperte sich und spuckte auf den staubigen Boden. Er saß als Einziger in der Sonne. »Hätten wir einen richtigen Herrscher so wie andere Städte, gäbe es einen solchen Blödsinn nicht.«
    Der Soldat mit der Narbe drehte seinen Bierkrug nachdenklich zwischen den Händen. »Hast schon recht. Es gibt zu viel Gezänk zwischen den Familien. Die Hardevusts gegen die Gyrs, die Gyrs gegen die Hirzelins, die Hirzelins gegen die Aduchts, und alle gegen die Overstolzens. Da kann ja nichts bei rumkommen.«
    »Weil keiner ohne den anderen kann.« Der junge Soldat, der in der Sonne saß, nickte. »Wilbolt ist zwar Bürgermeister, aber als Overstolzen muss er dafür sorgen, dass die kleineren Familien an seiner Seite bleiben. Er hat ihnen zwar das Asyl für die Juden aufgezwungen, die keiner außer ihm in der Stadt haben wollte, aber dafür musste er dann nachgeben, als die Gyrs unbedingt die Tore schließen wollten.«
    »Und wir dürfen’s ausbaden.« Der Soldat mit der Narbe

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