Die Nonne und der Tod
trank seinen Krug mit einem Schluck aus und stand auf. »Ich muss zurück auf den Turm.«
Ich sah ihm nach, als er zur Stadtmauer ging. Eingeschlossen im Kloster hatte ich nichts von den Dingen mitbekommen, die sich draußen in der Stadt abspielten. Die Intrigen und Kämpfe zwischen den Patrizierfamilien waren mir fremd, ihre Namen nur aus den wenigen Unterhaltungen bekannt, in denen Jacob sie erwähnt hatte. Vielleicht hasste mich von Wallnen nur, weil ich seinen Herrn von den wirklich wichtigen Aufgaben ablenkte.
Die beiden anderen Soldaten saßen noch eine Weile da und redeten, aber ihre Gespräche drehten sich nur noch um ihre Familien und die Vorgesetzten, von denen sie sich schikaniert fühlten.
Im Laufe des Nachmittags tauchten noch andere Gäste auf, zwei Schneidergesellen, die sich nach einem Botengang ausruhten, ein Händler, der den Wirt in ein Gespräch über Bier verwickelte, und immer wieder Soldaten. Einige sahen zu mir hinüber, aber zum Glück setzte sich keiner an meinen Tisch.
Mehr und mehr füllten sich die Bänke, und es wurde Abend. Ich stand auf, als die Sitzplätze rar wurden, und nickte dem Wirt zu. Ich war ihm dankbar, dass ich den Tag auf der Bank hatte verbringen dürfen. Er nickte zurück und widmete sich wieder seinen Gästen.
Die Metzgergasse war leicht zu finden. Ich folgte der breiten Straße, die vom Severinstor in Richtung Norden führte, und bog ab, als ich ein großes Holzschild sah, auf das ein Schwein gemalt war und darunter ein Pfeil.
Die Gasse war schmal. Links und rechts befanden sich um diese Abendzeit geschlossene Fleischereien. Im Winter konnte man den ganzen Tag über frisches Fleisch kaufen, wenn man das Geld dafür hatte, im Sommer wurde es nur frühmorgens verkauft und musste bis zum Mittag aus den Auslagen verschwunden sein. Laut Schwester Ursula hatte das der Rat angeordnet, nachdem alle sechs Kinder einer Patrizierfamilie an verdorbenem Schweinefleisch gestorben waren. Deshalb verkauften die Metzger im Sommer vor allem Wurst und Schinken, doch so spät am Tag hatte keiner von ihnen mehr geöffnet.
Ich blieb stehen und sah nach oben. Zwischen den Häusern hing die Wäsche so dicht von den Leinen, dass man den Himmel kaum noch erkennen konnte, aber es war klar, dass die Sonne noch nicht ganz untergegangen war. Ich würde wohl warten müssen.
In der Gasse hing der Geruch nach Blut. Ratten liefen durch die Rinnen, die von den Hinterhöfen, in denen geschlachtet wurde, zu den Abwasserkanälen an beiden Seiten der Gasse führten. Einige hockten im Mauerwerk und fraßen tote Artgenossen.
Blut und Fäkalien vermischten sich in den Kanälen. Je weiter ich in die Gasse hineinging, desto beißender wurde der Gestank. Schwarze Fliegen hingen in Wolken über den Abfällen. Ich hob mein Kleid an aus Angst, es mit Blut zu verschmutzen.
Die Türen der Häuser waren geschlossen, die hölzernen Auslagen hochgeklappt und mit Ketten gesichert. Die Lücken zwischen den Gebäuden waren so schmal, dass ein Mensch nur mit Mühe hindurchpasste, das Schlachtvieh jedoch nicht. Es musste über einen anderen Weg zur Schlachtung gebracht werden.
Hinter den Türen hörte ich Stimmen und Kindergeschrei, das Klappern von Geschirr und das Bellen von Hunden. Fenster schien es auf dieser Seite der Häuser nur in den oberen Stockwerken zu geben, wahrscheinlich aus Sorge vor Dieben oder um keinen Neid zu erregen.
Ich blieb stehen. Mir war kein genauer Treffpunkt mitgeteilt worden, und die Gasse war lang. Wenn ich Pech hatte, wartete der Bote irgendwo hinter mir am Anfang der Gasse.
Irgendwo klirrte Metall gegen Stein. Ich sah mich um, entdeckte jedoch niemanden. Im Kloster hatte ich allerlei Geschichten über Räuber gehört, die nachts die Gassen Coellens unsicher machten. Mein Herz schlug sofort schneller.
Ich muss nur an eine dieser Türen klopfen, dachte ich, um mich zu beruhigen, dann wird mir schon jemand helfen. Hier sind überall Menschen, auch wenn ich sie nicht sehe.
Es klirrte erneut, dann sagte eine Stimme: »Heiland, was stinkt das hier.«
Erleichtert atmete ich aus. Ein Räuber hätte sich bestimmt nicht auf diese Weise angekündigt. Ich öffnete den Mund, um mich bemerkbar zu machen, aber eine zweite Stimme kam mir zuvor.
»Wenn du Geld für Fleisch hättest, würdest du das öfter riechen.«
Ich erstarrte, der Gruß, den ich hatte aussprechen wollen, hing ungesagt in meiner Kehle. Ich kannte diese Stimme, hatte sie erst vor kurzem gehört. Den Mann, dem sie gehörte,
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