Die Nonne und die Hure
…«
»Und ob ich das kann!«, war die Antwort. »Es ist zu spät für deine Klagen; ich habe alles eingeleitet.«
Damit drehte er sich um und verschwand, nachdem er ihr den Knebel wieder in den Mund gesteckt hatte.
Sie sank in sich zusammen, glitt in eine Ohnmacht. Dunkle Fluten trieben sie durch einen Schacht. Es stank gotterbärmlich, und an einigen Stellen grinsten ihr Ratten entgegen. Blut troff von ihren spitzen Mäulern. Als sie in einem Kanal auftauchte, wurde sie von starken Händen gepackt und an Land gezogen. Sie befand sich auf dem Markusplatz. Ihre Hände wurden von hinten an einen Pfahl gebunden. Um sie herum johlte eine große Menge; sie bewarf sie mit Steinen und faulen Eiern. Das Geschrei wurde immer lauter. Zu ihren Füßen sah sie den Holzstoß, der jetzt von einem Gehilfen des Scharfrichters in Brand gesteckt wurde. Die Flammen kamen immer näher, es wurde immer heißer … dann wieder eiskalt.
Als sie wieder zu sich kam, war es totenstill. Das Wasser reichte ihr jetzt bis zum Bauch. Hör auf zu kämpfen, sagte sie sich, dein Leben ist verwirkt, du hast verloren, hast alles nur schlimmer gemacht. Die Kälte spürte sie kaum noch. Wieder sank sie in eine Ohnmacht. Sie fiel und fiel und kam auf dem Grunde eines Schachtes an. Mit einem Ruck war sie wach. Was passierte hier eigentlich? Lag sie schon im Sterben? Sie nahm all ihre Kraft zusammen und richtete sich auf. Einen Brunnen gab es, zwei Türen und eine weitere Öffnung nach außen, das Wasserportal. Schließlich stand sie auf den Füßen. Ihr war so schwindelig, dass sie immer wieder umzukippen drohte. Die Fesseln gaben ein ganz klein wenig Spielraum. Unendlich langsam trippelte sie zur Tür. Das Wasser war jetzt, im Stehen, schenkeltief.
Schließlich erreichte sie den Ausgang. Sie hob ihre Arme und begann, die Handfesseln an den Eisenverschlägen zu reiben. Endlich fielen die Fesseln zu Boden. Mit steifen Fingern zog sie sich den Knebel aus dem Mund und lehnte ihren Kopf gegen die Tür. Um Hilfe zu rufen, war zu gefährlich. Vielleicht kam der Mann mit der Maske noch einmal zurück. Eine lange halbe Stunde brauchte sie, um dieFesseln an ihren Füßen zu lösen. Die Flut reichte ihr inzwischen bis zur Brust. Sie musste immer wieder mit dem Kopf untertauchen, um den Knoten allmählich aufzulösen. Jetzt stand ihr das Wasser bis zum Hals. Es gab keinen Ausweg. Die Fenster zum Kanal hin waren vergittert, da würde sie niemals hindurchpassen. Es stank erbärmlich. In diese Lage hatte sie sich selbst gebracht. Hatte Christoph sie nicht gewarnt? Ich will nicht sterben, dachte sie, gerade erst habe ich doch meine Eltern wiedergefunden!
Das Wasserportal war ihre einzige Möglichkeit hinauszukommen. Celina holte tief Luft und tauchte unter. Da waren die Gitterstäbe des Portals. Prustend tauchte sie noch einmal auf und dann tiefer hinunter. Die Stäbe reichten nicht ganz bis zum Grund. Celina bekam keine Luft mehr und musste noch einmal auftauchen. Sie sog ihre Lungen voll, tauchte wieder hinab, hielt sich an den Stäben fest und arbeitete sich mit letzter Kraft unter dem Gitter hindurch. Sie wusste nicht, wo sie sich befand, sah nur trübes, dunkles Wasser. Angestrengt dachte sie nach. Sie war unter dem Gitter des Wasserportals hindurchgeschwommen, musste sich also im Canale Grande befinden. Sie ruderte mit Armen und Beinen, gelangte nach oben und streckte keuchend ihren Kopf aus dem Wasser heraus. Sie war frei! Gespenstisch glommen die Kohlepfannen im Nebel. Es waren keine Boote unterwegs, auch keine Menschen. Ihr war so kalt, und sie war so steif, dass sie sich fast nicht mehr über Wasser halten konnte. Auf keinen Fall durfte sie zu den Lichtern hinschwimmen, sondern musste zur Seite, zwischen dem Palast und dem angrenzenden Gebäude hindurch. Mit fast erstarrten Bewegungen arbeitete sie sich vor.
Schließlich erreichte Celina einen Landeplatz für die Gondeln. Mit letzter Kraft zog sie sich die Stufen hinauf und blieb erschöpft liegen. Sie zitterte am ganzen Leib. Dukannst hier nicht liegen bleiben, sagte sie sich. Mühsam rappelte sie sich auf und setzte sich in Bewegung nach Castello, zu Brinellos Haus. Zum Glück begegnete sie keinem Menschen mehr, denn in ihrem vollkommen nassen, erschöpften Zustand wäre sie möglicherweise bei den Signori della Notte abgeliefert worden. Die Stadt bot ein Bild der Verwüstung. In den Gassen stand das Wasser kniehoch; die Flut hatte den Inhalt der Keller nach oben gedrückt. Es stank nach Moder und
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