Die Nonne und die Hure
auf den Weg machten. Gegen Mittag rasteten die beiden an einem Bach, der von Kopfweiden gesäumt war. Christoph war froh über den Schatten, da sein Hemd ihm am Körper klebte. Er trank gierig aus der hohlen Hand, dann aßen sie vom Brot und von den Feigen, die Brinellos Dienerin ihnen eingepackt hatte. Die alte Stadt Padua kam in Sicht. Sie umritten sie weiträumig, da sie von möglichst wenigen Menschen gesehen werden wollten. Ab und zu begegnete ihnen ein Bauer auf einem Esel. Kühe und Pferde grasten auf den Weiden; sie blickten den Reitern verwundert kauend nach. Die Ebene flimmerte vor Christophs Augen; am Horizont standen in einem grau wabernden Dunst die Berge. Immer wieder schaute er sich um, aber offensichtlich folgte ihnenniemand. Sie gelangten ins flache, von Kanälen durchzogene Land der Poebene. Nach einiger Zeit tauchten saftig grüne Hügel auf, deren Gipfel von burgähnlichen Städten gekrönt wurden.
»Das sind erloschene Vulkane«, erzählte Hans auf Christophs unausgesprochene Frage hin. »Aus der Tiefe der Erde sprudeln Quellen, und Orte wie Albano und Montegrotto Terme sind entstanden. Francesco Petrarca, unser Dichterfürst aus dem 14. Jahrhundert, hat sich in seinen letzten Lebensjahren dorthin zurückgezogen. Die Stadt wurde nach ihm benannt: Aqua Petrarca.«
»Petrarca … ist der nicht auf den Mont Ventoux gestiegen und hat später bei der Fontaine de Vaucluse gelebt?«
»Er ist sozusagen der Begründer des Bergsteigens. Als Jugendlicher traf er eine verheiratete Frau – Laura, die von diesem Moment an die Muse seines Lebens wurde und ihn zu den schönsten Liebesgedichten, Sonetten, inspirierte, die wir kennen.
»Kennst du solche Sonette?«
Hans rezitierte:
Ich wanke wie das Gras, so von den kühlen Winden
Um Vesperzeit bald hin geneiget wird, bald her.
Ich walle wie ein Schiff, das in dem wilden Meer,
Von Wellen ungejagt, nicht kann zu Rande finden.
Ich weiß nicht, was ich will, ich will nicht, was ich weiß,
Im Sommer ist mir kalt, im Winter ist mir heiß.
»So geht es mir auch«, meinte Christoph. »Ich weiß manchmal nicht, woran ich mit ihr bin.«
»Mit Celina?«
»Ja. Ich habe von Anfang an gespürt, dass sie mich mag. Aber sie hat mich nie richtig nahe an sich herangelassen.Ihre Gefühle versteckt sie hinter der Philosophie Tullia d’Aragonas.«
»Was ist das für eine Philosophie?«
»Tullia meint, die platonische Liebe sei der irdischen, fleischlichen, überlegen, weil sie unendlich sei. Die Liebe zwischen Mann und Frau ende, sobald ihr Ziel erreicht sei, nämlich die Vereinigung.«
»Du könntest ihr ja das Gegenteil beweisen!« Hans zwinkerte ihm von seinem Pferd aus zu.
»Das habe ich vor. Aber erst mal müssen wir unseren Auftrag erfüllen.«
Als die Sonne tiefer sank, schauten sie sich nach einem Nachtlager in einem nahegelegenen Wäldchen um. Sie aßen von dem mitgenommenen Schinken, tranken jeder einen Becher Wein und schliefen in den Herbergen am Weg. Sobald die Sonne ihre Strahlen über die Berge schickte, saßen sie auf und zogen weiter. In Verona stießen sie auf einen Platz mit einer Kirche gewaltigen Ausmaßes: San Zeno Maggiore. Rechts und links der Fassade, einer riesigen Rosette, einem Glücksrad, ragten zwei Türme auf. Erbaut war die Kirche aus schwarzem Back- und weißem Tuffstein. Sie beschlossen, eine Pause zu machen, auch wenn die Zeit drängte. Als sie das Schiff betraten, wurden sie fast erschlagen von der Größe und Ausstattung des Gotteshauses. Eine Orgel spielte, und in dem dämmrigen Raum, der nach Weihrauch roch, erschlossen sich ihnen nach und nach die Kunstwerke, unter anderem der Hochaltar von Andrea Mantegna und die Krypta mit den Gebeinen des heiligen Zeno, des Drachentöters, der als Schutzheiliger gegen Überflutungen angerufen wurde. Im lichten Kreuzgang mit romanischen und gotischen Bögen beschlossen sie den Kirchenbesuch und blieben noch einmal vor dem Glücksrad an der Fassade stehen.
»Es symbolisiert Aufstieg und Fall des Menschen«,bemerkte Hans. Und richtig, unten stand ein Mensch aufrecht. Während des Aufstiegs verbog er sich, stand oben in Siegerpose, um dann hinunterzufallen und schließlich klein und gebrochen am Boden zu liegen.
»So geht es all denen, die nach Macht und Reichtum streben«, sagte Christoph zu seinem Freund.
Bei Vizenza erreichten sie die Ausläufer der Monte Lesini, und Hans schlug vor, den Weg über die Berge nach Riva zu nehmen. Sie ritten die Kuppe hinauf, die mit Pistazienbäumen
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