Die Nonne und die Hure
Verwesung.
Brinello öffnete ihr mit erschrecktem Gesichtsausdruck, zog sie hinein, wickelte sie in Decken, ohne die anderen zu wecken, machte ihr Würzwein heiß und schickte sie ins Bett.
Anderntags war das Hochwasser schon wieder beträchtlich gesunken. Als Celina aus dem Bett sprang und zum Fenster hinaussah, erblickte sie venezianische Bürger, die auf Brettern über die riesigen Pfützen balancierten. Brinellos Dienerin hatte den Frühstückstisch schon mit Haferbrei, Brot und einigen Coppi di Parma, kleinen Hartwürsten, gedeckt. Als sich alle gesetzt hatten, reichte Brinello den heißen Wein herum und sagte:
»Du hast Glück gehabt, Celina. Dein Leichtsinn, allein in dieses Haus zu gehen, hat dich beinahe das Leben gekostet!«
»Wir müssen gewissenhaft über alles nachdenken und uns beraten, bevor wir weitere Schritte unternehmen«, sagte Christoph, nachdem Celina über die Ereignisse berichtet hatte.
»Fassen wir einmal zusammen«, meinte Brinello. »Einen Vorwurf der Ketzerei vergisst die Kirche nicht so schnell. Und wir haben keine mächtigen Beschützer, die uns vor dem Scheiterhaufen retten können. Die Stadt dürfen wir nicht verlassen, und keiner würde uns helfen hinauszukommen.«
»Es stimmt nicht, dass wir keine mächtigen Beschützer hätten«, fiel Hans ein. »Denk an Immuti, den Kardinal in Rom, den Abt Murare.«
»Und die Kurtisane Andriana«, rief Celina. »Sie hat euch schon einmal geholfen, aus den Bleikammern zu fliehen.«
»Das war allerdings das Todesurteil für den Wärter«, versetzte Brinello. »Er musste die Strafe antreten, die uns zugedacht war.«
Das hatte Celina nicht gewusst.
»Das tut mir leid«, sagte sie betreten.
»Nun gut«, fuhr Brinello fort. »Der Abt Lion und Suor Mathilda sind aus der Stadt verschwunden, und er ist in Abwesenheit zum Tode verurteilt worden. Wer läuft noch frei herum?«
»Der Mann mit der Totenmaske und Breitnagel, der alte Geldsack«, antwortete Christoph. »Ich würde nur zu gern wissen, was er mit der ganzen Sache zu tun hat.«
»Das finden wir auch noch heraus«, beruhigte ihn Hans.
»Das Wichtigste für mich ist, endlich meine Eltern zu befreien.« Celina schaute nachdenklich vor sich hin.
»Ich habe eine Idee«, meldete sich Hans zu Wort. »Ich werde zur Börse der Deutschen im Fondaco dei Tedeschi gehen; dort kennt man sicher die Adresse dieses Breitnagel.«
»Ich kümmere mich um unsere Verbündeten«, meinte Brinello.
Christoph blickte Celina in die Augen. »Und was hast du vor?«
»Ich gehe zu Andriana und berate mich mit ihr. Es zerreißt mich förmlich, nichts zur Befreiung meiner Eltern tun zu können. Gestern, bevor ich zum Palazzo kam, hatmich ein Mann auf der Piazza San Marco angesprochen. Es war der Kapitän des Schiffes, mit dem ich von Ostia nach Genua gefahren bin. Er erzählte mir, dass er meine Eltern in Konstantinopel gesehen habe. Sie sind wohlauf; der Sklavenhändler hat sie freigelassen; sie leben bei ihm, haben nur keine Mittel, nach Venedig zurückzukehren. Ich werde Andriana fragen, ob sie mit mir hinüberfährt, um sie zu holen.«
»Das schmerzt mich zutiefst«, sagte Christoph. »Am liebsten wäre ich keinen Tag von dir getrennt. Aber ich sehe es ein, dass deine Eltern jetzt Vorrang für dich haben.«
»Warum wollte der Sklavenhändler sie zuerst töten und Geld für sie erpressen, um sie später freizulassen?«, wollte Brinello wissen.
»Vielleicht war es ein anderer Händler«, erwiderte Celina.
Christoph wandte sich an Hans. »Würdest du mich an den Lago del Benaco begleiten?«
»Mit Vergnügen«, lautete die Antwort.
35.
In dem Gefühl, dass sich doch noch alles zum Guten wenden könnte, bestieg Christoph am nächsten Tag zusammen mit Hans ein Fährboot, das sie durch den Canale Grande ans Festland bringen sollte. Der Abschied von Celina war ihm nicht leichtgefallen. Als er sie in den Arm genommen hatte, bemerkte er ihr Zurückweichen. Er war sich sicher, dass sie ihm zugetan war. Weshalb dann diese Zurückhaltung? Sie waren doch inzwischen durch eine tiefe Freundschaft verbunden, wenigstens empfand er das so. Er würde seine Aufgabe, den Abt zu finden, erfüllen und hoffte, dass Celina ihre Eltern wohlbehalten nach Venedig zurückbrachte. Es versprach ein warmer Tag zu werden. Der Nebel über der Lagune lösten sich allmählich auf. Die Menschen waren mit Aufräumarbeiten nach dem Hochwasser beschäftigt. Am Ufer standen Pferde für ihn und Hans bereit, mit denen sie sich in Richtung Padua
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