Die Nonne und die Hure
schimmerte im Licht der Nachmittagssonne. Jeder von ihnen nahm eines der Bücher mit. Celina ging neben Christoph am Strand entlang. Muscheln lagen verstreut im Sand, es roch nach Seetang und Fischen.
»Du hast gefragt, wie die Lage in der Stadt ist«, begann Christoph das Gespräch. »Es wird immer noch nach dir gesucht. Die Äbtissin, Suor Mathilda, ist zum Dogen gegangen, um sich mit ihm zu besprechen.«
»Woher weißt du das? Und warum wird soviel Aufhebens um meine Person gemacht?«
»Hans hat es mir erzählt, er kennt ein Mitglied des Zehnerrates, Immuti. Es ist ein Onkel von ihm. Und zu deiner anderen Frage: Es scheint einigen Leuten nicht zu gefallen, dass du Nachforschungen wegen der toten Mädchen angestellt hast.«
»Soll ich etwa aufhören damit?«, brauste sie auf. »Damit alles totgeschwiegen wird? Es wird noch mehr Tote geben, davon bin ich fest überzeugt!«
»Aber ich möchte nicht, dass du die Nächste bist, die man aus dem Kanal fischt!«, gab er zurück.
»Ich werde vorsichtig sein, das verspreche ich dir«, sagte sie.
Er blieb stehen und sah sie an.
»Du bist hier nicht sicher«, meinte er. »Ich glaube, dassman mich beobachtet. Wer es ist, kann ich nicht sagen. Selbst der Mann mit dem Ruderboot könnte ein Verräter sein. Du solltest eine Zeitlang aus der Stadt verschwinden.«
»Aber wohin denn? Es gibt keinen Ort, an dem ich mich verstecken könnte!«
Er überlegte.
»Vielleicht könntest du auf eine … Pilgerfahrt gehen? Natürlich ganz heimlich, ohne dass es jemand erfährt.«
»Und ich komme erst zurück, wenn sich die Wogen hier geglättet haben?«
»Genau das ist meine Überlegung.«
»Warum hast du mir diese Bücher mitgebracht?«, wollte sie wissen.
»Um dich auf andere Gedanken zu bringen«, sagte Christoph lächelnd. »Weißt du noch, was wir im Hause Brinellos über die Unendlichkeit der Liebe besprochen haben?«
»Tullia stellte die Frage, ob Liebe unendlich sein müsse«, antwortete Celina, »oder ob es möglich sei, mit Maß und Grenze zu lieben. Die höchste Liebe sei die Gottes. Tullia räumt ein, dass es Liebende gibt, die lieben, um ein Ziel zu erreichen, und wenn sie dies geschafft haben, aufhören zu lieben, sogar anfangen zu hassen. Nach Varchi liegt in diesem Fall keine Liebe vor.« Sie vergaß die Gefahr, in der sie schwebte.
Christoph blinzelte ins Licht. Sie hätte ihn umarmen mögen.
»Warum sollte das keine Liebe sein?«, fragte er. »Nur weil sie irgendwann endet?«
»Weil sie gemein und unehrenhaft ist.«
»Ich wage zu bezweifeln, dass die eine Art der Liebe der anderen überlegen sein soll«, bemerkte Christoph.
In Celina begann es zu kribbeln, sie wusste nicht, ob aus Widerspruchsgeist oder wegen seiner Nähe und seinerWorte, die sie als durchaus anzüglich empfand. Merkwürdigerweise gefiel ihr diese Anzüglichkeit.
»Höre«, sagte sie, blieb stehen und schlug das Buch auf. »Varchi sagt am Anfang: ›Fürwahr, Liebe trägt mich, wohin ich nicht will.‹ Was bedeutet das?«
»Das bedeutet, dass wir der Liebe ausgeliefert sind. Sie ist wie ein Boot im großen Meer, das wir nicht steuern können. Wir müssen uns davontragen, uns vom Wind treiben lassen. Das scheint Varchi Unbehagen zu bereiten. Ich für meinen Teil sehe ein sehr schönes Bild darin. Gilt es nicht auch für die Gottesliebe? Steuert nicht auch er unsere Schiffe im Meer?«
»Ich glaube, dass jeder Mensch ein tiefes Bedürfnis hat, sich selbst und andere zu steuern. Warum sollte er sich in sein Schicksal ergeben? Ich will mich ja auch nicht in mein Schicksal ergeben«, entgegnete Celina.
»Kommen wir auf die Endlichkeit und Unendlichkeit zurück«, meinte Christoph. Gedankenverloren versetzte er einem Stein einen Stoß mit seiner Stiefelspitze.
»Varchi fragt: Ist das Ende einer Sache auch ihr Ziel? Wenn ein Geometer ein Stück Land vermisst, hat er einen Endpunkt und damit ein Ziel. Demnach hat alles kein Ende, das keinen Endpunkt besitzt.«
Celina antwortete: »Varchi fragt weiter, ob Lieben und Liebe dasselbe sei. Darauf hin sagt Tullia, eines sei ein Substantiv, eines ein Verb. Verben unterliegen den Veränderungen des Tempus, Nomina oder Hauptwörter bleiben beständig. Also sei die Liebe dem Lieben überlegen. Ist die Liebe nun minderwertig, das heißt fleischlich, verwandelt sie sich mit der Zeit in Hass, weil sie endlich ist und ihr Ziel, nämlich die Vereinigung, erreicht hat. Gerade das will mir aber nicht einleuchten.«
Celina blieb abermals stehen und blickte
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