Die Nonnen von Sant'Ambrogio: Eine wahre Geschichte (German Edition)
Prophezeiungen. Dadurch wurde Maria Luisa von rasender Eifersucht erfüllt und setzte alles daran, die Ekstasen Maria Agostinas als «scheinheilige Vorspiegelungen» aufzudecken. Zuerst verpflichtete sie Maria Agostina in ihrer Autorität als Novizenmeisterin, ihr das «Gewissen wie einem Beichtvater zu öffnen» und eine Lebensbeichte vor ihr abzulegen. Danach erzählte sie den anderen Schwestern von all den Schwächen und Miseren im Leben dieser jungen Frau. So sprach sie lang und breit davon, Maria Agostina habe in Ferrara eine «schamlose Beziehung» mit dem Jesuiten Vincenzo Stocchi,[ 52 ] ihrem Beichtvater, gehabt. Maria Luisa zwang die junge Novizin, ihre Visionen öffentlich zu widerrufen, nicht nur im Noviziat, sondern auch im Chor vor der ganzen Gemeinschaft von Sant’Ambrogio. Diese Demütigung genügte ihr aber nicht. «Hinter der Maske des Eifers», die verirrte Seele wieder auf den rechten Weg zurückzuführen, setzte sie sie psychisch massiv unter Druck. Sie wollte sie offenbar in den Wahnsinn und letztlich in den Tod treiben.
Maria Giuseppa erinnerte sich in ihrem Verhör, wie «im letzten Sommer die verstorbene Schwester Maria Agostina … erkrankte. Sie war jung, robust und bei guter Gesundheit. Aber da es schien, die Krankheit habe in einem nicht natürlichen Unwohlsein ihren Ursprung, kam in mir später der Verdacht auf, dass ihrem Essen irgendetwas beigemischt worden war. Diese Ordensschwester hatte andauernd Fieber und sie verzehrte sich. … Eigentlich bringt man den Kranken alle acht Tage die Kommunion, aber ich erinnere mich, dass man sie ihr eine Zeit lang nicht gebracht hat. Gegen Oktober des letzten Jahres wurde sie von einem starken Fieber überrascht und man sagte, es habe sich dabei um einen Schlaganfall gehandelt. Damals war sie einundzwanzig oder zweiundzwanzig Jahre alt. Durch diesen Schlaganfall blieb sie benommen und stotterte. Es bildeten sich Geschwüre in ihrem Mund und im Rachen. Sie magerte in wenigen Tagen bis zum Skelett ab und starb schließlich.»[ 53 ]
Mehrere Zeuginnen bestätigten in ihren Aussagen, die Novizenmeisterin habe sich wie in einem Wahn von Maria Agostina verfolgt gefühlt, und brachten einhellig ihre Überzeugung zum Ausdruck, diese sei von ihr vergiftet worden. Der Hass der Vikarin ging so weit, dass sie Maria Ignazia, der leiblichen Schwester der Todkranken, verbot, Maria Agostina am Krankenlager zu besuchen. Aus Maria Ignazias Aussage wird deutlich, dass sie Maria Luisa regelrecht hörig war und diese sie aus guten Gründen als Komplizin rekrutiert hatte:[ 54 ]
«Ich habe meine Schwester nie besucht, da mir bewusst war, dass es der Meisterin nicht gefallen hätte. Am Ende sind der Beichtvater und die Meisterin doch zu meiner Schwester gegangen. Sie beichtete und empfing die Kommunion. Ich habe sie dann auch besucht, aber sie war kurz vorm Sterben, und ich glaube, sie hat mich nicht mehr erkannt.
Der Grund, warum die Meisterin den Pater Peters zu meiner Schwester führte, um ihr die Beichte abzunehmen, war, sie von den Dämonen zu befreien. Die Meisterin hat mir gesagt, dass Peters ihr eine Stola auf den Kopf legte und sie sich heftig dagegen wehrte. Pater Peters hat ihr sieben Dämonen ausgetrieben, und die Meisterin sagte mir, sie hätte sie gesehen. Nach diesem Akt lebte meine Schwester noch acht Tage, war aber nicht mehr bei Sinnen.»
Auch Giuseppa Maria war davon überzeugt, dass Maria Luisa die Kranke «ein Pulver oral einnehmen ließ, das zu Brustentzündungen führte, alle Gegenstände gelb erscheinen ließ, absolut benommen machte und im Hals Geschwüre verursachte».[ 55 ] Die zweite Krankenschwester war sich ihrer Sache absolut sicher, weil sie dasselbe Pulver als Medizin eingenommen hatte und bei sich exakt dieselben Symptome beobachtet hatte wie bei Maria Agostina, mit der sie im Zuge der Krankenpflege mehrfach gesprochen hatte. In ihrer Vernehmung gab sie zu Protokoll:[ 56 ]
«Ich hegte also den Verdacht, dass die Meisterin ihr Essen vergiftet hatte, da mir einige Tage zuvor Ähnliches passiert war. Der Arzt verordnete mir nämlich gegen meine Magenschmerzen einen Aufguss mit Corallium und Wurmsamen. Dieser wurde im Krankenzimmer vorbereitet, wo die Meisterin ständig unterwegs war. Als ich es das erste Mal eingenommen hatte, fühlte ich mich schwindelig, bekam Kopfschmerzen und meine Sicht trübte sich in einem gelblichen Ton. Aber ich sagte nichts.» Die von Giuseppa Maria hier beschriebenen Symptome, insbesondere das Farbensehen,
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