Die Nonnen von Sant'Ambrogio: Eine wahre Geschichte (German Edition)
die Verwirrtheit und die Sprechstörungen, deuten auf eine Vergiftung mit dem im Wurmsamen enthaltenen Santonin hin. Giuseppa Maria fuhr fort:
«Am folgenden Tag habe ich eine weitere Dosis der Medizin genommen. Ich fühlte mich genau wie am Tag zuvor, alles sah gelblich aus. Ich sollte die Medizin achtmal nehmen, entschloss mich aber, sie nicht mehr zu nehmen.
Einen Tag später ging es mir immer noch schlecht, und als der Arzt kam, war die Meisterin mit etwas anderem beschäftigt. So konnte ich ihm persönlich meinen Zustand schildern, und Doktor Marchi war verwundert. Diese Medizin sei eine sehr leichte und man würde sie auch Tieren geben. Sie dürfte keine solchen Nebenwirkungen haben, und ich sollte sie nicht weiter nehmen. Sie bewirkte bei mir auch einen Brechreiz, und ich spie feurige Sachen aus, sodass sich in meinem Rachen und meinem Mund Geschwüre bildeten.»
Doch es blieb nicht bei dem Mord an Maria Agostina: Auch der Tod von Maria Felice im Herbst 1859, einer von Maria Luisas beiden Hauptkomplizinnen bei den Giftanschlägen auf Katharina, ging auf das Konto Maria Luisas.[ 57 ] Wieder ließ sie den Tod durch die üblichen Briefe der Gottesmutter an Pater Peters vorhersagen. Offenbar befürchtete die Novizenmeisterin, die junge Nonne würde dem Druck der Befragungen vor der Inquisition nicht gewachsen sein und das ganze Vergiftungskomplott offenbaren. Als sie krank darniederlag, zwang Maria Luisa sie sogar, für ihren eigenen Tod zu beten. Sie musste auch Schmerzen simulieren, die sie gar nicht hatte, damit die Ärzte sie immer wieder zur Ader ließen, was sie nachhaltig schwächen sollte. An den Folgen dieser Behandlung starb Maria Felice, kaum zweiundzwanzigjährig.
Jenseits des Gehorsams, den eine Novizin ihrer Oberin nach Kirchenrecht schuldete, zeigt der Fall Maria Felices eine religiös motivierte Abhängigkeit, die an Hörigkeit grenzt. Es ist eindeutig Zeichen einer pathologischen Religiosität, für den eigenen Tod zu beten und durch Simulation eine Behandlung zu erhalten, die einen tödlich schwächen muss. Der Grundsatz der Römischen Inquisition, den Sallua in der Sant’Ambrogio-Causa mehrfach formuliert hatte, traf im Fall des Todes von Maria Felice offensichtlich zu: Falsche Religiosität führt zu falscher Moral, fingierte Heiligkeit im schlimmsten Fall zu Mord und Totschlag.
Nach den Aussagen verschiedener Nonnen trug Maria Luisa auch die Schuld am Tod von Schwester Maria Costanza im Januar 1858. Diese hatte sich bei der Wahl der noch jungen Nonne zur Novizenmeisterin 1854 widersetzt und sich gegen den Ausschluss von Agnese Eletta aus Sant’Ambrogio ausgesprochen. Maria Costanza litt an einer schlimmen Lungenentzündung. Als sich ihr Zustand weiter verschlechterte, verlangte die Krankenschwester von der Vikarin, umgehend einen Arzt zu rufen. Dies verweigerte Maria Luisa jedoch mehrfach. Als Doktor Marchi am nächsten Tag endlich kam, war es zu spät. Der Arzt sagte: «Wären wir rechtzeitig gerufen worden, hätten wir sie retten können, nun können wir nichts mehr machen.» Maria Costanza starb am 23. Januar 1858 an ihrer Pneumonie.
Damit trug Maria Luisa für den Tod mindestens dreier Ordensschwestern die Verantwortung.
Geld, das vom Himmel fällt
Mord und Totschlag waren aber nicht die einzigen Verbrechen. Auch Unterschlagungen und andere finanzielle Vergehen gingen auf das Konto Maria Luisas, die auch hier himmlische Mächte am Werk sah. Immer wieder tauchten in Sant’Ambrogio auf wunderbare Weise Geldbeträge auf.[ 58 ] So berichtete Schwester Maria Colomba in ihrer Vernehmung, Maria Luisa habe ihr Geld überreicht, das sie sofort zu dem im Sprechzimmer wartenden Pater Peters zu bringen hatte, der damit die Arztkosten für Maria Giacinta begleichen sollte. Als Colomba Vollzug melden wollte, erklärte ihr die Novizenmeisterin, sie wisse nichts von Geld und Auftrag. Schließlich sagte sie, es sei wohl die Mutter Gründerin selbst gewesen, die Maria Colomba in der Gestalt Maria Luisas das Geld gegeben habe. Die Äbtissin sagte dazu aus, es habe sich um eine neu geprägte goldene Münze im Wert von zwölf Scudi gehandelt. Diese Münze bewahrte sie als Himmelsgeld auf, die Arztrechnung beglich sie mit abgenutztem irdischem Geld.
Die Mutter Gründerin sorgte mehrfach für die Finanzierung des Klosters vom Himmel aus. Einmal erhielt die Äbtissin von Maria Agnese Firrao «aus dem Paradies» einen Brief, dessen Wachssiegel den «Fingerabdruck der unbefleckten Gottesmutter» trug.
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