Die Nonnen von Sant'Ambrogio: Eine wahre Geschichte (German Edition)
Luisas in der Hand». Zum System Sant’Ambrogio gehörte ein kollektiver Gewissenszwang, für den letztlich die Beichtväter verantwortlich waren. Schon die Wahl Maria Luisas zur Novizenmeisterin und Vikarin war auf massiven Druck Lezirolis erfolgt. Den Kult um Berührungsreliquien betrieb vor allem Pater Peters. Seine blinde Verehrung für die schöne junge Nonne ging so weit, dass er ihr mehrfach öffentlich die Füße küsste.
Beide Beichtväter wussten über die «Vertraulichkeiten und Küsse» zwischen Maria Luisa und anderen Schwestern Bescheid. Zudem gingen sie äußerst leichtfertig mit den Inhalten der Beichten der Nonnen um und erzählten Maria Luisa über «die Beichten und Gemütsverfassungen der Pönitentinnen». Viele Ordensschwestern waren «immer genau deswegen tief bekümmert», weil die Meisterin oft «mit ihnen über die Inhalte der Beichte sprach, die sie gerade abgelegt hatten». Maria Fortunata brachte dies in ihrem Verhör treffend auf den Punkt: «Oft sagte mir die Meisterin die Beichte auf, die ich bei Pater Peters abgelegt hatte. Ich sagte darauf zu ihr: ‹Entweder belauscht uns Eure Ehrwürden, oder der Pater Peters sagt es Ihnen.›» Das Delikt des gewohnheitsmäßigen Bruchs des Beichtgeheimnisses war deshalb für Sallua erwiesen.
Auch in die Vergiftungsaffäre waren beide Beichtväter als Mitwisser verstrickt. Maria Luisa hatte sie «wörtlich und schriftlich von den mutmaßlichen göttlichen Offenbarungen und Befehlen hinsichtlich der bevorstehenden Krankheit und des Todes der Prinzessin» in Kenntnis gesetzt. «Sie wurden von den Nonnen auch über die mit der Vergiftung verbundenen Fakten informiert», notierte Sallua. Diese Tatsache war für ihn schon dadurch bewiesen, dass die Beichtväter «den behandelnden Arzt fragten, ob eine Dosis Opium oder irgendein Versehen mit den Medikamenten bei der Prinzessin zu ihrer Krankheit habe führen können». Der Dominikaner rief noch einmal die Aussage des Anwalts Franceschetti in Erinnerung, dass Pater Peters über die Vergiftung der Prinzessin Bescheid wusste und ihm von Anfang an «von dieser Sache» erzählt habe. Peters hatte den Advokaten auch vor den bevorstehenden Verhören der Inquisition gewarnt und selbstsicher behauptet: «Ich werde vor das Heilige Offizium nicht vorgeladen werden, da ich Beichtvater bin; falls ich doch nach der Geschichte der Vergiftung gefragt werden sollte, dann werde ich im Hinblick auf viele Fakten jedoch ausweichend antworten, indem ich Gewissensgründe und das Beichtgeheimnis vorbringe.»[ 62 ]
Leziroli hatte die Äbtissin nicht nur persönlich gezwungen, Maria Luisa um Verzeihung zu bitten, weil sie sie verdächtigt hatte, Katharina zu vergiften, sondern auch die beiden Krankenschwestern, die das Giftmischen beobachtet haben wollten, ihrer Ämter zu entheben. Die vernommenen Nonnen beschuldigten die Beichtväter auch, die Rechtfertigungsstrategie mitkonzipiert und durchgesetzt zu haben, wonach der Teufel in Maria Luisas Gestalt die Vergiftungsanschläge durchgeführt habe. Sie verkündeten auch als Erste, dass Maria Luisa «auf wunderbare Weise Gelder vom Himmel» erhalten habe. Und im Hinblick auf die vom Vicegerente durchgeführte Visitation und die Verhöre vor der Inquisition stifteten die Beichtväter die Nonnen offen zum Meineid an.
«Infolge der bis jetzt dargestellten Tatsachen», so lautete Salluas Resümee, «erscheint es offensichtlich, dass die genannten Beichtväter Mitwisser und Mittäter bei der Mehrheit der Anklagepunkte, die im vorliegenden Prozess behandelt werden, waren.»
Das Ergebnis des Informativprozesses
Nach über einem Jahr intensiver Zeugenverhöre war Sallua Ende Januar 1861 endlich in der Lage, die wesentlichen Ergebnisse des Informativprozesses zusammenzufassen. In seiner Relazione informativa kam er zu klaren Schlussfolgerungen für das weitere Procedere in der Causa Sant’Ambrogio.[ 63 ] Aber die Entscheidung darüber fällte eben nicht die untere ermittelnde Sektion der Inquisition, sondern die obere Sektion des Tribunals, die eigentliche Kongregation des Heiligen Offiziums und letztlich der Papst. Die Grundlage ihres Urteils bildeten die äußerst umfangreiche Relazione und die im Anhang abgedruckten Auszüge aus den Protokollen der wichtigsten Zeugenvernehmungen.
Der Dominikaner blieb in seiner Darstellung des Falles sehr nahe an den Zeugenaussagen. Seine Zusammenfassungen nehmen bis in einzelne Formulierungen hinein den Wortlaut und die Richtung der Zeugenaussagen
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