Die Normannen
dessen Hilfe die Päpste angewiesen waren. Ihm gelang die Eroberung der bis dahin byzantinischen Provinzen Apulien und Kalabrien; doch seine Herrschaft wurde immer wieder von Aufständen normannischer Großer, die dort Besitz und Macht erlangt hatten, in Frage gestellt. Gegen Ende seines Lebens, vermutlich in der Auffassung, das krisengeschüttelte byzantinische Kaiserreich stehe kurz vor dem Zusammenbruch, provozierte der Normannenherzog durch den Angriff auf die Balkanprovinzen Kaiser Alexios I., der ihm stärkeren Widerstand leistete als erwartet. Die von Byzanz mit Geld unterstützten Aufstände in Apulien zwangen Robert Guiscard schließlich, nach Italien zurückzukehren, wo er zudem in Rom dem bedrängten Gregor VII. zu Hilfe kommen musste. Der Tod des fast siebzigjährigen Heerführers auf seinem letzten, wenig aussichtsreichen Feldzug gegen Byzanz zeigt nachdrücklich, dass er ein charismatischer Heerführer, aber kein umsichtiger Politiker war.
Die Eroberung Siziliens Robert Guiscards jüngster Bruder, Roger I., hatte keine so weitreichenden Pläne. Er konzentrierte sich ganz darauf, Sizilien der Herrschaft der Muslime zu entreißen. Die bis dahin byzantinische Insel war im Laufe des 9. Jahrhunderts von Arabern und Berbern erobert worden, die Palermo zur neuen Hauptstadt gemacht hatten. Hier regierten ab 948 Emire aus der Dynastie der Kalbiden, die theoretisch den in Ifrīqiya, dem heutigen Tunesien, und dann auch in Ägypten herrschenden schiitischen Fatimiden unterstanden, praktisch jedoch selbständig waren. Infolge einer zunehmenden Einwanderung von Berbern aus Nordafrika und der Konversion eines Teils der einheimischen christlichen Bevölkerung zum Islam waren um 1050 mehr als zwei Drittel der Bewohner Siziliens Muslime; die meisten Christen lebten im Val Demone im Nordosten der Insel. Als die Kalbiden-Emire in Palermo zunehmend an Macht verloren, zerfiel Sizilien in kleinere Herrschaftsbereiche unter lokalen Machthabern, die sich gegenseitig bekämpften.
Damit bestanden günstige Voraussetzungen für Angriffe auf die Insel. Dies zeigte der bereits erwähnte byzantinische Feldzug von 1038–40, an dem auch normannische Ritter teilgenommen hatten. Zwanzig Jahre später, im Februar 1061, rief der lokale Machthaber (
qā’id
) Ibn al-Thumna Roger I. zu Hilfe. Er hatte Syrakus und Catania erobert und lag im Streit mit seinem Schwager Ibn al-Hawwās, der die Gegend um Agrigent und Enna (früher Castrogiovanni) kontrollierte. Die Normannen, die vielleicht schon vorher kleinere Angriffe auf die Ostküste Siziliens unternommen hatten, konnten im Sommer 1061 ohne große Mühe Messina erobern. Das Unternehmen wurde von Robert Guiscard und Roger I. gemeinsam durchgeführt. Der Herzog hatte seinen jüngsten Bruder, der um 1055 aus der Normandie gekommen war, zuvor auch an der Eroberung Kalabriens beteiligt, die 1060 mit der Einnahme von Reggio ihren Abschluss fand.
Mit Messina war ein wichtiger Brückenkopf erobert worden, der die Meerenge zwischen Kalabrien und Sizilien sicherte. Bis die Insel vollständig unter normannischer Herrschaft stand, sollten aber noch dreißig Jahre vergehen. Dieser lange Zeitraumhatte mehrere Gründe: Roger I. war mit seinem vergleichsweise kleinen Kontingent an normannischen Rittern und anderen Soldaten meist auf sich allein gestellt. Robert Guiscard half ihm nur in der ersten Phase der Eroberung, die mit der Einnahme Palermos Anfang 1072 endete. Zudem musste Roger mehrfach seinem Bruder in Kalabrien und Apulien bei der Niederschlagung von Aufständen helfen. Außerdem gab es auf Sizilien, im Unterschied zur süditalienischen Halbinsel, keine bereits vorher eingewanderten Normannen, und die griechisch-orthodoxe Bevölkerung, von der man sich Hilfe erhoffen konnte, konzentrierte sich auf den Nordosten der Insel.
Nach der Eroberung von Palermo übertrug Robert Guiscard seinem Bruder, der bereits nach der Einnahme Messinas den Titel eines Grafen von Sizilien angenommen hatte, offiziell die Herrschaft über die Insel. Der Herzog behielt nur die Hälfte Palermos, Messinas und des Val Demone für sich. In den folgenden Jahren brachte Roger I. die nördliche Hälfte der Insel unter seine Kontrolle. Nach dem Tod Robert Guiscards (1085) konnte er sich ganz auf Sizilien konzentrieren. So gelang es ihm in wenigen Jahren, den Rest der Insel zu unterwerfen, bis sich im Februar 1091 als letzte Stadt Noto im äußersten Süden der Insel ergab. Einige Monate später konnte Roger I. auch
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