Die Normannen
die benachbarten Inseln Malta und Gozo unter seine Herrschaft bringen.
Für die muslimische Mehrheit der Insel änderte sich zunächst wenig. Die Einnahme der meisten Städte war nur durch Verhandlungen gelungen, in denen den Einwohnern die Beibehaltung ihres Glaubens und eine weitgehende Selbstverwaltung zugestanden wurde. Jetzt mussten die Muslime allerdings die Kopfsteuer (arab.
jizya
) zahlen, die unter muslimischer Herrschaft von den Juden und Christen entrichtet worden war; ein entsprechender sozialer Abstieg war die Folge. Mit der Verwaltung der Steuereinnahmen beauftragte Roger I. griechisch-christliche Sizilianer, die des Arabischen mächtig waren. Der Graf tolerierte den Glauben der muslimischen Bevölkerungsmehrheit, gleichzeitig förderte er die Einwanderung griechischer Christen aus Kalabrien und vor allem lateinischer Christen ausanderen Teilen Italiens, die den Normannen sprachlich und kulturell näher standen. Mit der (Wieder-)Errichtung lateinischer Bischofssitze in Palermo, Troina, Catania, Syrakus, Agrigent und Mazara schuf der Graf die Voraussetzungen für eine allmähliche Latinisierung bzw. Romanisierung der Insel, infolge derer im Laufe des 12. Jahrhunderts der arabische und griechische Bevölkerungsanteil zurückging. An der Sozialstruktur Siziliens änderte sich vorläufig kaum etwas, abgesehen davon, dass eine kleine Gruppe von Normannen sich das meiste Land aneignete und zahlreiche islamische Intellektuelle, die nicht unter christlicher Herrschaft leben wollten, in den Maghreb oder das arabische Spanien auswanderten.
Mit Sizilien eroberte der jüngste der Hauteville-Brüder eine Insel, deren Reichtum sich auch wegen des Goldes, das hier durch den Mittelmeerhandel vorhanden war, bald in ganz Europa herumsprach. Über seine Töchter, die aufgrund ihrer hohen Mitgift begehrte Heiratsobjekte waren, gelang es Roger I., verwandtschaftliche Verbindungen anzuknüpfen, die sein Prestige immens steigerten: Eine seiner Töchter, Maximilla, heiratete im Jahr 1095 Konrad (gest. 1101), den Sohn Kaiser Heinrichs IV. Dieser hatte sich mit Unterstützung Papst Urbans II. (1088–99) gegen seinen Vater erhoben und zum König von Italien krönen lassen. Eine andere Tochter Rogers I., deren Name nicht bekannt ist, wurde 1097 mit König Koloman von Ungarn (gest. 1116) vermählt. Der Graf selbst heiratete 1089 in dritter Ehe – seine ersten beiden Gemahlinnen waren Normanninnen gewesen – Adelheid (Adelaide/Adelasia) del Vasto aus dem angesehenen norditalienischen Adelsgeschlecht der Aleramiden, das in Ligurien und im Piemont begütert war. Die Verbindungen zwischen den beiden Familien wurden durch die Heirat zweier Schwestern Adelheids mit zwei Söhnen Rogers I. sowie ihres Bruders Heinrich mit einer Tochter des normannischen Grafen verstärkt. Die Folge war eine Einwanderung weiterer Norditaliener nach Sizilien.
Durch die Rückeroberung der Insel für das Christentum war Roger I. das Wohlwollen der Päpste sicher. Selbst ein so intransigenter Papst wie Gregor VII. sah ausnahmsweise darüber hinweg,dass sich der Graf mit der Gründung von Diözesen und der Einsetzung von Bischöfen Rechte anmaßte, die einem Laien nicht zustanden. Urban II. legalisierte schließlich die besondere Situation der sizilianischen Kirche, indem er dem Grafen und seinen Nachfolgern 1098 außergewöhnliche Privilegien wie die Einberufung von Synoden zugestand, die sonst nur päpstlichen Legaten vorbehalten waren.
Theoretisch war Roger I. seinem Neffen Roger Borsa, dem Sohn und Nachfolger Robert Guiscards als Herzog von Apulien, Kalabrien und Sizilien, unterstellt. In der Praxis war dieser aber auf die Hilfe seines mächtigen Onkels angewiesen. Roger Borsas Hauptproblem war sein älterer Halbbruder Bohemund; dieser fand sich nicht damit ab, dass sein Vater ihn von der Erbfolge ausgeschlossen hatte. Roger Borsa musste ihm schließlich große Teile Südapuliens und die Stadt Bari überlassen. Der Graf von Sizilien wiederum erhielt als Gegenleistung für die Hilfe, die er Roger Borsa geleistet hatte, den herzoglichen Besitz in Sizilien und Kalabrien. Als Roger I. 1101 starb, lag ein sehr erfolgreiches Leben hinter ihm: Vom nahezu mittellosen jüngsten Sohn eines kleinen Adligen in der unteren Normandie, der in der Fremde sein Glück suchen musste, hatte er es zum Grafen von Sizilien und Kalabrien sowie zum Schwiegervater von Königen gebracht. Am Ende des 11. Jahrhunderts war er in Süditalien die eindeutig
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