Die Novizin
Welche Frau?«
»Die Frau, die wir auf der Straße von Couiza fanden. Wir begruben ihren Mann und ihr Kind. Jetzt sitzt sie mit den anderen in der großen Zelle. Ganach sagte, sie sei deine Gefangene.«
Bruder Subillais antwortete nicht.
»Wie ist sie hierhergekommen?«
»Ich ließ sie festnehmen.«
»Aber aus welchem Grund?«
»Sie hat uns erzählt, sie heiße Eleonore d’Alet, doch ihr richtiger Name lautet Mari de Vezay, wie ich vor kurzem erfuhr. Einer der Einwohner von Saint-Ybars kannte sie. Ich fragte mich, warum sie gelogen hatte, und beschloss, die Register zu konsultieren.«
Es gab eine Vielzahl von Registern, und jedes einzelne enthielt die Unterlagen zu Hunderten von Fällen. Wir hatten die Register, die sich auf diese Diözese bezogen, in einer fest verschlossenen Eichentruhe mit uns geführt, den ganzen Weg von Toulouse. Es musste Bruder Subillais viele Tage ermüdender Arbeit gekostet haben, sie durchzusehen, was ich ihm gegenüber auch bemerkte.
»Ich werde keine meiner Pflichten gegenüber Gott vernachlässigen, nur weil sie mit ermüdender Arbeit verbunden ist«, sagte er darauf.
Wieder einmal fühlte ich mich ob meines mangelnden Eifers ermahnt.
»Und? Hast du herausgefunden, wer diese Frau in Wahrheit ist?«, erkundigte ich mich.
»Ihr Mann, Gillibert de Vezay, arbeitete als Gerber. Er war nicht ihr wirklicher Mann, denn sie sind nie vor den Altar getreten. Vor drei Jahren gestand er, dass er sich vor einem Parfait verneigt hatte, und wurde zu einer Buße verurteilt.«
»Darf ich einen Blick in das Register werfen, Bruder?«
Bruder Subillais schob mir das in Leder gebundene Buch über den Tisch zu und wies auf das betreffende Dokument. Es handelte sich um das Protokoll einer Untersuchung, die drei Jahre zuvor in Alet-les-Bains stattgefunden hatte.
Ich las den Eintrag zum Urteilsspruch. Gillibert de Vezay war eine Pilgerreise zu siebzehn Kirchen auferlegt worden, darunter Santiago de Compostela. Eine solche Buße bedeutete, dass er für viele Monate von seiner Familie getrennt war. Sie bedeutete den Verlust seiner Arbeit und den sicheren Ruin. Auch Gilliberts Frau, Mari de Vezay, war wegen Häresie verurteilt worden, weil sie gesagt hatte, der Dorfpriester habe viel mit dem Teufel gemein, denn beide genossen es, Unzucht zu treiben. Ihre Buße bestand darin, drei Jahre lang ein Kreuz auf ihrer Kleidung zu tragen.
»Wie du weißt, hat sie ihre Buße nicht ordnungsgemäß erfüllt und ist deshalb als rückfällige Häretikerin zu betrachten. Das Gesetz schreibt für diese Sünde eine eindeutige Strafe vor.«
Ich starrte ihn mit offenem Mund an. Ich konnte nicht anders.
»Ich muss sie dem weltlichen Arm überstellen«, fügte Bruder Subillais hinzu.
Ich dachte daran, wie sie halb tot am Wegesrand gesessen hatte. Wie Bruder Subillais sie aufgefordert hatte, auf seinen Maulesel zu steigen. Hatten wir sie dafür gerettet, dass sie nun erneut bestraft wurde?
»Sie wird also verbrannt?«
»Zum Wohl ihrer unsterblichen Seele und zur Ehre unseres Herrn Jesus Christus.«
Warum wühlte mich dies so sehr auf? Der Sachverhalt war klar, die Frau hatte – ungeachtet all ihres Unglücks – der Kirche den Gehorsam verweigert.
»Was ist mit ihrem Mann?«
»Das Register verzeichnet, dass er die Wallfahrt nicht antrat und in der Folge exkommuniziert wurde. Ich habe den Dienern, die uns begleiteten, aufgetragen, die Grabstätte ausfindig zu machen und den Leichnam zu exhumieren. Er wird verbrannt und seine Asche in den Wind gestreut, wie das Gesetz es verlangt.«
Ich schwieg, denn es gab nichts, was ich hätte sagen können, um ihn von diesem Vorhaben abzubringen. Ich fragte mich, was ich an seiner Stelle getan hätte. Wäre ich ebenso eifrig in der Erfüllung meiner Pflichten gewesen? Hätte ich auch jede Nacht die Register studiert und mir dabei die Augen verdorben, um dieser bedauernswerten Frau und ihrem Mann auf die Schliche zu kommen? Tief in meinem Innern bezweifelte ich, dass ich die nötige Stärke und Überzeugung besessen hätte.
*
Unsere Diener kehrten drei Tage später mit Gillibert de Vezay zurück. Er hatte zwei Monate lang in der gefrorenen Erde gelegen. Die Kälte hatte den Verwesungsvorgang zwar verlangsamt, jedoch nicht so weit, dass sein Anblick Herz oder Geist zu frommen Betrachtungen angeregt hätte. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass selbst Heilige, deren sterbliche Hülle Gott auf wundersame Weise zu erhalten pflegt, nach einigen Jahren im Grab nicht immer
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