Die Novizin
Tochter ist keine Ketzerin«, sagte sie. »Fragt diesen Mönch dort. Eine echte Ketzerin würde niemals mit einem Mönch Unzucht treiben.«
Bruder Subillais starrte erst mich an, dann Sybille de Peyrolles. »Was wollt Ihr damit sagen?«
»Das fragt Ihr besser ihn«, erwiderte sie und wies mit dem Kinn in meine Richtung.
Bruder Subillais schüttelte den Kopf, als habe er einen schweren Schlag erhalten und fühle sich benommen. »Du kanntest dieses Mädchen schon vorher?«, stieß er hervor. Seine Miene verriet Verblüffung und Betroffenheit.
Ich konnte ihm nicht in die Augen sehen.
»Du kanntest sie?«, rief er noch einmal.
Alle starrten mich an – der Priester, Pons, mein Ordensbruder und diese schreckliche Frau. Ich hätte es Bruder Subillais selbst sagen müssen, und zwar noch vor Beginn unserer Untersuchung. Ich hatte oft versucht, ihm davon zu erzählen, letzten Endes aber nie den Mut aufgebracht.
Bruder Subillais nickte den Wachen zu. Sie führten Sybille de Peyrolles wieder in den murus largus , wo sie hoffentlich nicht über meine, sondern über ihre eigenen Sünden nachdenken würde.
»Geht«, befahl er dann auch den anderen. Pons und Père Michel eilten aus der Wachstube.
Wir waren allein. Keiner von uns sprach ein Wort. Ich blickte zu Boden und wunderte mich, dass man in einem dermaßen kalten Raum schwitzen konnte.
»Du hast mit dieser Frau geschlechtlich verkehrt?«
»Es war zu der Zeit, als ich an der Universität von Toulouse lehrte.«
»Der Prior wusste davon?«
»Er bemühte sich, es nicht dem Bischof zu Ohren kommen zu lassen. Ihr Vater arbeitete für uns und den Bischof. Er verlor seine Anstellung und wurde mitsamt seiner Familie fortgeschickt.«
»Und hier hast du diese Familie wiedergetroffen. Der Herr stellt dich auf die Probe, Bernard. Das ist dir doch bewusst?«
Ich nickte, immer noch unfähig, den Blick zu heben.
Ein tiefer Seufzer entrang sich seiner Brust, und ich hatte plötzlich den Eindruck, dass er die elende Geschichte bereits vermutet hatte.
»Es war Zauberei«, hörte ich mich selbst sagen. »Sie hat mich verhext.« Innerlich verfluchte ich zugleich Sybille de Peyrolles. Was hoffte sie mit ihrer Enthüllung zu erreichen? Glaubte sie etwa, mich oder Bruder Subillais manipulieren zu können? Es war ihr lediglich gelungen, sich meiner Feindschaft zu versichern sowie Bruder Subillais’ Entschluss zu stärken, Madeleine zu Grunde zu richten.
»Als ich dasselbe sagte, widersprachst du mir. Nun begreife ich, warum.«
»Es war ein einziger Moment der Schwäche. Ich habe Buße getan und wurde vom Prior von meinen Sünden losgesprochen.«
»Schwäche kann sich ein Inquisitor nicht leisten«, entgegnete er.
»Es war ein Fehler, den ich niemals wiederholen werde.«
Er machte eine wegwerfende Handbewegung und sagte leise: »Lass mich allein.«
Ich ging schweigend aus dem Raum. Bevor ich die Tür hinter mir schloss, warf ich noch einen Blick über meine Schuller. Bruder Subillais saß bewegungslos auf seinem Stuhl und hatte nachdenklich einen Finger an die Lippen gelegt. Welchen Einfluss ich auch immer auf ihn gehabt haben mochte – nun hatte ich ihn verloren.
*
Ich hätte nie damit gerechnet, die arme Frau wieder zu sehen, die wir auf unserem Weg nach Saint-Ybars aufgelesen hatten. Ich hatte den murus largus aufgesucht, um mit Maurand zu sprechen und ihn zu überreden, ein Geständnis abzulegen.
Die Frau hockte dort in einer Ecke und wiegte ein nicht existierendes Kind in ihren Armen. Sie sang dazu halblaut ein Lied. Es war dieses schauerliche Lied, das meine Aufmerksamkeit errang, andernfalls hätte ich sie wohl gar nicht bemerkt. Ihre Stimme verursachte mir eine Gänsehaut.
Ich weiß nicht, ob sie mich erkannte, denn es schien, als sei sie völlig dem Wahnsinn verfallen. Ich richtete mehrere Male das Wort an sie, aber sie blickte noch nicht einmal auf. Ich rief Ganach herbei, den Kerkermeister, und wollte von ihm wissen, warum sie hier war. Er sagte, dass sie Vater Subillais’ Gefangene sei, eine Ketzerin. Dann spuckte er verächtlich vor ihr aus. Wahrscheinlich sollte mich das beeindrucken.
Nach der Komplet betrat ich Bruder Subillais’ Zelle, wo er gerade im schwachen Licht einer qualmenden Kerze in einem der Inquisitionsregister las. Er hielt die einzelnen Dokumente auf Armeslänge von sich, denn seine Sehkraft ließ langsam nach.
»Diese Frau – warum ist sie im Kerker?«, fragte ich ihn.
»Soll ich den Sinn deiner Worte etwa erraten, Bruder?
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