Die Novizin
den Toten zwei Wegstunden über Land nach Saint-Ybars, wo sie ihn im Schatten der Stadtmauern verbrannten. Die übrig gebliebenen Knochen wurden zerstampft, erneut verbrannt und die Asche dann in den Fluss gestreut, damit sie nie wieder geweihten Boden verunreinigen konnte. All dies im Namen unseres Herrn Jesus Christus und zur Ehre des Heiligen Dominik, Amen.
Nun stellte sich uns die Frage, wie wir mit Madeleine de Peyrolles Maurand verfahren sollten. Die Regeln zur Beweisführung unterscheiden zwischen dem partiellen und dem vollständigen Beweis einer Anschuldigung. Der vollständige Beweis erfordert die Aussagen zweier Augenzeugen, die den Übeltäter beim Begehen der Tat beobachtet haben, oder das Geständnis des Täters selbst. In allen anderen Fällen handelt es sich lediglich um einen partiellen Beweis. Wenn allerdings genügend partielle Beweise vorliegen, rechtfertigen sie den Versuch, einen vollständigen Beweis zu erlangen und damit nach weltlichem Recht auch die Erzwingung eines Geständnisses unter der Folter.
Gemäß dieser Vorschriften hatten wir also durch die Aussagen des Müllers Almaric du Foix und des Karrenmachers Pierre Antignac einen vollständigen Beweis zur Hand, um Madeleine de Peyrolles wegen Hexerei verurteilen zu können. Doch Ihr müsst verstehen, dass der Nachweis von Schuld oder Unschuld nicht das höchste Ziel unseres Verfahrens darstellte. Wir wollten die Seele dieses Mädchens retten, aber das war nur möglich, wenn Madeleine ein umfassendes Geständnis ablegte und aus freiem Willen ihrer Sünden abschwor.
Oftmals kam es zu einem Geständnis, nachdem die Beschuldigten eine gewisse Zeit damit verbringen mussten, ihr Gewissen zu erforschen – zumeist im Kerker des Château Narbonnais in Toulouse. Ober viele Monate hin wurden die Beschuldigten wieder und wieder befragt, bis schließlich die Wahrheit aus ihnen herausbrach. Ihr haltet diese Methode vielleicht für grausam, aber ich gebe Euch zu bedenken, dass wir sie nur dann anwandten, wenn die Wahrheit ohnehin bereits offensichtlich war. Diese Wochen oder Monate voller Entbehrungen dienten der Selbsterkenntnis des Sünders.
Bruder Subillais schien das Verfahren bei Madeleine de Peyrolles allerdings mit wachsender Ungeduld zu betrachten. Vielleicht lag dies an seinem Gebrechen. Sein Bein war nicht richtig verheilt, sodass er immer noch nicht laufen konnte und in der Burg umhergetragen werden musste wie ein Invalide. Die meiste Zeit über litt er große Schmerzen.
In Toulouse hätten wir viele Fälle gleichzeitig geprüft und uns mit anderen Angelegenheiten beschäftigen können, während wir darauf warteten, dass Einsamkeit und karge Kerkerkost einen heilsamen Einfluss auf eine widerspenstige Gefangene ausübten. Doch hier in Saint-Ybars gab es nicht vieles, worauf mein Ordensbruder seine Aufmerksamkeit hätte richten können, daher reagierte er ungeduldig auf die Langsamkeit, mit der unsere Untersuchung voranschritt.
Es ist wohl nur richtig, wenn ich sage, dass sich sein Wesen verändert hatte. Ich weiß nicht, wann oder wo dies geschah, und es fällt mir selbst jetzt noch schwer, genau zu beschreiben, worin diese Wandlung sich äußerte. Er schien sich schneller aufzuregen und wütend zu werden als früher, und er verbrachte weniger Zeit mit Andacht und Gebet. Ich vermochte diese Veränderung nur durch die Erkrankung nach seinem Sturz zu erklären.
Die Bewohner von Saint-Ybars schwiegen sich uns gegenüber immer noch aus. Das einzige Geständnis, das wir bisher erhalten hatten, stammte von Agnes. Einige Bürger waren befragt worden, vor allem solche, die irgendeine Beziehung zu Madeleine de Peyrolles gehabt hatten. Des Weiteren hatten wir ihre Mutter einkerkern lassen, mit der Begründung, dass sie im Ruf einer weisen Frau und Hexe stand. Wir beabsichtigten, ihre Einstellung zur Häresie einer genauen Prüfung zu unterziehen. Sybille de Peyrolles gab zu, Kräutertränke für Sieche zu brauen und schwangeren Frauen bei der Geburt zu helfen, aber sie wiederholte beharrlich, dass sie der Kirche treu ergeben sei und keinerlei ketzerische Überzeugungen hege.
Und dann geschah doch noch das, was seit Wochen als schlimmste Befürchtung durch meine düsteren Gedanken zog.
Als Bruder Subillais Sybille de Peyrolles während eines Verhörs in Bezug auf ihre Tochter allzu hart zusetzte, warf sie mir einen durchdringenden Blick zu. Ich wusste auf der Stelle, was sie vorhatte, vermochte sie jedoch nicht aufzuhalten.
»Vater, meine
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