Die Novizin
gönnen, doch er hörte nicht auf mich.
Der Winter hielt Saint-Ybars fest umklammert. Bruder Subillais jedoch schien die Eiseskälte willkommen zu sein, denn er ließ die Schlagläden seines Gemachs beinahe Tag und Nacht offen stehen.
In der grauen Morgendämmerung waren dicke Eisschichten auf den Dächern und den Pflastersteinen des Innenhofs zu erkennen. Mit vor Kälte tauben Fingern brach ich das Brot zum Morgenmahl. Mein Geist war ebenfalls benommen, entsetzt über den Weg, den mein Ordensbruder eingeschlagen hatte.
Dies war nicht mehr der Mann, den ich kannte … aber vielleicht ist das nicht ganz richtig. Er war zwar der Mann, den ich kannte, doch all seine Wesenszüge schienen viel stärker ausgeprägt, sodass er kaum wiederzuerkennen war. Seine Krankheit hatte ihn verändert, und in ihm war ein Licht verloschen.
»Du wirkst sorgenvoll«, bemerkte Bruder Subillais.
»Ich kann nicht mit meinem Gewissen vereinbaren, was wir gleich tun werden.«
»Mit deinem Gewissen?«
»Ich bin nicht der Ansicht, dass die Anwendung von Folter zum Inquisitionsverfahren gehören sollte. Mir erscheint sie wie ein Eingeständnis unseres Versagens.«
»Wir haben nur dann versagt, wenn wir eine Seele an den Erzfeind verlieren.«
»Hat Paulus nicht gesagt: ›Eure Güte lasst kund sein allen Menschen‹?«
»War unser Erlöser gütig, als er die Geldwechsler aus dem Tempel vertrieb, Bernard?«
»Du magst so viel reden, wie du willst, mein Gewissen lässt mir keine Ruhe.«
»Mit wessen Stimme spricht dein Gewissen zu dir, Bruder? Mit der Stimme Gottes oder mit der Stimme deiner eigenen Schwäche? Wer verzagten Herzens ist, vermag auch keine Seelen zu retten.«
»Wird ein Mensch nur lange genug gefoltert, so ist er gewiss bereit, alles zu gestehen, selbst wenn es nicht der Wahrheit entspricht. Der Heilige Vater hat die Ausübung von Zwang zwar gestattet, aber er untersagt uns, dabei Leib oder Leben des Beschuldigten in Gefahr zu bringen.«
»Keins von beidem werden wir tun.«
»Auf der Folterbank werden seine Knochen brechen.«
»Ich glaube nicht, dass es so weit kommen wird«, erwiderte Bruder Subillais. »Wir haben heute Morgen bedeutende Arbeit zu verrichten, Bruder. Uns fällt die Aufgabe zu, Aimery Maurands Seele zu retten. Angesichts seiner beharrlichen Widerspenstigkeit dürfen wir nicht zurückweichen.« Er warf mir einen Blick zu, erkannte, dass er mich noch nicht überzeugt hatte und fuhr fort: »In den Augen Gottes hat er eine Sünde begangen, ob ihm dies nun bewusst ist oder nicht. Zum Wohl seiner unsterblichen Seele muss er gestehen und von dieser Sünde losgesprochen werden. Versuche einmal, wie ein Barbier oder Arzt darüber zu denken, Bernard. Du musst dich gegen die Leiden deines Patienten verhärten, andernfalls bist du nicht fähig, alles zu tun, damit er wieder gesundet. Wenn ein Mann mit einem verfaulten Bein zu dir kommt – nimmst du es ihm dann ungeachtet seiner Schreie ab, oder lässt du ihn lieber zugrunde gehen?«
»Sollte Maurand nicht besser so lange im murus strictus festgesetzt bleiben, bis er seine Fehler einsieht?«
»Bruder, es verursacht mir ebenso großen Schmerz wie dir, einen Menschen leiden zu sehen. Doch mein Schmerz wäre noch größer, wenn es einem Häretiker gelänge, durch List und Bosheit seiner Strafe zu entgehen. Denn dadurch würden Ketzer ermutigt, dem rechten Glauben weiteren Schaden zuzufügen. Das ist es, was mir wahrhaftig den Schlaf raubt. Mit unserer Nachsicht haben wir an diesem Ort bereits genug Zeit verschwendet.«
»In Toulouse würden wir nicht zu dieser Maßnahme greifen.«
»Tatsächlich? Willst du damit sagen, dass ich die Verfahrensregeln nicht in angemessener Weise beachtet habe?«
»Ich will lediglich sagen, dass wir womöglich zu viel Eifer an den Tag legen, was diesen Maurand betrifft.«.
»Die Ketzerei muss ausgerottet werden! Indem Maurand sich weigert, abzuschwören, gefährdet er alles um sich herum – unsere Institutionen, unsere Städte, den König, den Heiligen Vater in Rom, einfach alles, was zwischen uns Menschen und der Barbarei steht. Vergiss nicht, dass es unser Auftrag ist, über den Geist der Menschen zu wachen. Wir müssen alles vernichten, was vom Teufel kommt und was den glorreichen Tag hinauszögert, an dem das himmlische Königreich auf Erden anbricht.«
»Es muss einen anderen Weg geben, die Wahrheit herauszufinden.«
»Wir kennen die Wahrheit bereits. Wir benötigen nur noch das Geständnis des Sünders.« Bruder Subillais
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