Die Novizin
weichen, so sehr bestürzte mich seine Andeutung. »Du hast doch nicht etwa die Absicht, ihn der Folter zu unterziehen?«
»Der Heilige Vater hat diese Vorgehensweise ausdrücklich gestattet.«
Subillais hatte Recht – das galt für bestimmte Fälle, wenn es sich um eine schwerwiegende Anschuldigung handelte. Dreizehn Jahre zuvor hatte Papst Innozenz IV in seiner Bulle Ad extirpanda die Anwendung von Folter erlaubt, vorausgesetzt, sie gefährdete weder Leib noch Leben des Angeklagten, und vorausgesetzt, es lagen außergewöhnliche Umstände vor. Meines Wissens hatte bisher noch kein Inquisitor von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht.
»Ich sehe dich erbleichen. Stehst du dieser Maßnahme ablehnend gegenüber, Bruder Bernard?«
»Ja, das tue ich in der Tat, Bruder.«
»Aus welchem Grund?«
»Es würde bedeuten, dass wir versagt haben. Was nutzt uns all unsere Bildung, wenn es uns nicht gelingt, mittels unseres Verstandes zum Gewissen dieses Mannes durchzudringen?«
»Gespräche erfüllen nur ihren Zweck, wenn das Gegenüber bereit ist, sich daran zu beteiligen. Manche Menschen verschließen sich jedoch jeglicher Vernunft.«
»Aber welche Berechtigung hätten wir, ihn für ein dermaßen geringes Vergehen zu foltern? Er hat keine häretischen Ansichten geäußert und wird dessen auch nicht beschuldigt! Als er diese Sünde beging, war er noch ein Knabe.«
»Bei Häresie handelt es sich also um ein geringes Vergehen?«
»Unsere Anklage ist nicht schwerwiegend.«
»Der Vater dieses Mannes war ein Verberger! Wer weiß, wie viele ketzerische Gedanken er seinem Sohn schon als Kind eingepflanzt hat? Und wer weiß, wie viele andere Menschen dieser Sohn mit seinem giftigen Gedankengut angesteckt hat?«
»Wir haben keine weiteren Beweise gegen ihn.«
»Das heißt nicht, dass keine existieren. Und was den Einsatz eines gewissen Zwanges betrifft, so hat bereits unser Dominikanerbruder Thomas von Aquin in seiner Summa Theologica darauf hingewiesen, dass eine solche correctio eine gute Tat darstellt, wenn sie die Erhebung eines anderen Christen zum Ziel hat. Es ist ebenso viel wert, eine Person daran zu hindern, Böses zu tun, wie sie dazu zu veranlassen, Gutes zu tun.«
Ich rang mit mir. Bruder Subillais’ Zusammenfassung der Lehre von Thomas von Aquin vermochte ich zuzustimmen, und das bedeutete, dass der Fall Maurand eingehend untersucht werden musste. Aber der Gedanke an Folter stieß mich ab, und das machte ich auch deutlich.
Bruder Subillais hörte sich meine Einwände an und geruhte anschließend, mich zu verspotten. »Aus Rücksicht auf deine empfindliche Veranlagung soll Maurand also der Eintritt in das himmlische Königreich versagt bleiben?«
»Das habe ich nicht gesagt.«
»Wenn man die Menschen sich selbst überlässt, gibt es kein Halten mehr. Sie müssen geleitet werden, und dies ist nicht immer mit sanften Worten zu erreichen.«
»Du bist der Meinung, dass wir ihn zu seinem eigenen Wohl der Folter unterwerfen sollten?«
»Zum Wohl seiner unsterblichen Seele, ja. Glaubst du, dass Gott die Menschen auf die Erde geschickt hat, damit sie ihr Leben lang versuchen, Schmerz und Kränkungen zu meiden?«
»Natürlich nicht.«
»Warum sind wir also hier?«
»Um Gott zu dienen und die Sünde zu bekämpfen.«
»Genau. Ist es uns möglich, den Sieg über das Fleisch zu erringen, ohne sowohl geistigen als auch körperlichen Schmerz zu erleiden? Nein. Sollten wir demnach den Schmerz an sich fürchten? Nun, Bruder?«
»Dies ist unsere eigene Wahl. Aber es ist etwas anderes, wenn wir einem unserer Mitmenschen Schmerz zufügen.«
»Selbst, wenn wir es zu seinem eigenen Besten tun?«
»Sollte Maurand das nicht selbst beurteilen dürfen?«
»Keineswegs! Soll etwa ein Bäcker oder ein Gerber selbst darüber entscheiden, ob er ein tugendhaftes Leben führt? Die Menschen müssen zur Frömmigkeit getrieben werden wie eine Schafherde in den Stall, andernfalls wäre im Fegefeuer gar nicht genug Platz für all die verdammten Seelen. Was immer wir im Fall von Aimery Maurand tun, geschieht aus christlicher Nächstenliebe. Es ist die Bürde unseres heiligen Amtes, dass sich unsere übermäßige Nächstenliebe auf eine Weise äußert, die von den Menschen nicht verstanden wird.«
»Mir scheint, dass Folter nicht viel mit Liebe zu tun hat.«
»Was weißt du schon von Liebe, Bruder Donadieu? Ganz davon abgesehen, dass du sie mit fleischlicher Begierde verwechselst.«
Wie Ihr seht, hatte ich dank Sybille de Peyrolles
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