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Die Novizin

Die Novizin

Titel: Die Novizin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Falconer
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das Stroh und bissen mir Fleischstücke aus den Zehen, während ich schlief. Es gab kein Gefäß, in das ich meine Notdurft hätte verrichten können. Ich war an die Wand gekettet und lebte in ständiger Dunkelheit, sodass ich schon bald jegliches Zeitgefühl verlor.
    Es war, als hätte man mich bei lebendigem Leib begraben. Ich wollte nur noch sterben.
    Und Maria kam nicht.
    Die Visionen, die ich für Ausgeburten meines Wahnsinns gehalten hatte, waren nun meine einzige Wirklichkeit. Ich klammerte mich an die Erinnerung, an die Frau im blauen Umhang, wie ich mich auf offener See an ein Stück Holz geklammert hätte. In jener undurchdringlichen Finsternis boten mir einzig meine Visionen ein wenig Licht und Wärme.
    Manchmal verspürte ich das Bedürfnis, zu schreien, um mich zu schlagen und zu toben, doch ich hatte keine Kraft mehr dazu. Mein Magen krampfte sich vor Hunger zusammen. Ich schlief unruhig, schreckte immer wieder mit zuckenden Gliedern hoch und konnte häufig Traum und Wirklichkeit nicht mehr voneinander unterscheiden.
    Ich betete zu Gott um Barmherzigkeit und flehte die Madonna an, mir einen Blick auf ihr Gesicht zu gewähren.
    Aber das Antlitz, das ich schließlich vor mir sah, gehörte nicht der Madonna, sondern Bernard. Als seine Gesichtszüge im flackernden Licht einer Fackel vor mir auftauchten, befand ich mich plötzlich wieder in unserem Haus in Toulouse und er saß am Feuer und sprach zu mir von Gott, den Kirchen und den Heiligen. Vergessen geglaubte, mit Schuldgefühlen verbundene Sehnsüchte regten sich in mir. Mir schoss durch den Kopf, dass ich ihretwegen bestraft wurde und es verdiente, zu leiden.
    Ich dachte, auch er sei eine Traumgestalt, bis ich seine vertraute Stimme hörte. Ich nahm die Wärme seines Körpers wahr. Als ich wimmerte wie ein geprügelter Hund, wich er zurück.
    »Heilige Muttergottes! Was hat man Euch angetan?«
    Ich vermochte ihm keine Antwort zu geben, da der Durst meine Zunge auf ihre doppelte Größe hatte anschwellen lassen.
    Er hatte einen Becher Wasser mitgebracht und hielt ihn mir an die Lippen. Gierig versuchte ich zu trinken, wobei der größte Teil des Wassers über mein Kinn rann, und ich an den wenigen Schlucken beinahe erstickte.
    Bernard hob meine Hände und untersuchte sie im Schein der Fackel. »Wie habt Ihr das gemacht?«, fragte er.
    Ich begriff nicht, was er meinte, und konnte ohnehin nichts erwidern.
    »Der Kerkermeister behauptet, dass Ihr ein Messer eingeschmuggelt und Euch selbst verletzt habt.«
    Ich begann zu weinen. Was war nur für ein jämmerliches Geschöpf aus mir geworden! Wie einfach es doch ist, einen Menschen zu brechen.
    Er hielt immer noch meine Hände fest. »Ihr ahmt die Wundmale Christi nach, das ist Gotteslästerung!«
    Ich erinnerte mich nicht daran, wie die Wunden entstanden waren. Vielleicht hatte ich sie mir selbst zugefügt, schließlich war ich verrückt. Ich sah Dinge, die gar nicht da waren.
    »Ihr seid eine kleine Närrin«, flüsterte er. Dann stand er unvermittelt auf, stieg die Stufen hoch und ließ mich in der Dunkelheit zurück. Ich weiß noch, dass ich seinen Namen rufen wollte, aber meiner Kehle entrang sich lediglich ein schrilles Geräusch, wie der Schrei einer Katze in der Nacht. Er sollte zurückkommen, damit ich gestehen konnte, alles gestehen konnte, was er von mir zu hören wünschte.

BERNARD
    Ich nahm den Kerkermeister beiseite. Er war kein so übler Mann, wie Ihr vielleicht vermutet. Sein Atem stank nach Knoblauch und seine Zähne waren verfault, doch dasselbe galt auch für Atem und Zähne vieler Bischöfe, die ich kannte. Ich hatte einige der Wärter über seinen Charakter befragt. Er stand nicht im Ruf übermäßiger Grausamkeit. Seine Stellung kam seiner Trägheit entgegen, bot ihm ein weitgehend angenehmes Leben sowie zahlreiche Gelegenheiten, Bestechungsgelder einzustreichen, vor allem von wohlhabenden Gefangenen wie Maurand.
    Ganach hatte Angst vor mir. Damals behagte es mir genauso wenig wie heute, dass unser Orden Furcht verbreitete, doch wenn es nötig war, nutzte selbst ich die Tatsache zu meinem Vorteil. Ich warf dem Kerkermeister einen stechenden Blick zu und hoffte, ihm auf diese Weise vermitteln zu können, dass ich zu ebensolcher Rücksichtslosigkeit fähig war wie mein Ordensbruder.
    »Ich frage Euch noch einmal: Wie sind jene Wunden entstanden?«
    »Jemand hat ein Messer eingeschmuggelt.«
    »Wo ist dieses Messer?«
    »Es war … ich weiß es nicht. Als ich in ihre Zelle kam, hielt sie

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