Die Novizin
bilden. Der Schädel fehlte.
Christian fiel auf die Knie. Ich tat es ihm nach. Raymond starrte uns an, als wären wir wahnsinnig geworden.
»Was ist das?«, wollte er wissen.
Christian schlug das Kreuzzeichen und sagte: »Das ist der Leib Christi.«
BERNARD
Pons, der Notar, der mit uns aus Toulouse gekommen war, bat mich um eine Unterredung. Er war uns gegenüber keineswegs so unterwürfig, dass er es nicht gewagt hätte, sich eine eigene Meinung über unsere Arbeit zu bilden. Ich hatte ihn schon häufig Anmerkungen bezüglich der Wirksamkeit dieser oder jener Befragungsmethode äußern hören. In seiner Gegenwart war ich oftmals angespannt, da ich den Eindruck hatte, dass er mein Tun unablässig einer Beurteilung unterzog.
Pons betrat meine Zelle und neigte den Kopf. »Guten Tag, Vater.«
»Ihr habt etwas mit mir zu bereden, Pons?«
»Ja, Vater.« Es folgte ein langes Schweigen.
»Nun?«, fragte ich schließlich.
»Die Angelegenheit ist ein wenig heikel, Vater. Sie betrifft Vater Subillais.«
»Ihr könnt offen mit mir sprechen.«
Pons zögerte immer noch. Es sah ihm gar nicht ähnlich, dermaßen zurückhaltend zu sein.
»Was bekümmert Euch, Pons?«
»Ich bin zutiefst beunruhigt, Vater. Sicherlich wisst Ihr, dass ich der Heiligen Inquisition stets treu gedient habe. Aber ich war immer der Ansicht, dass die Verfahrensregeln in angemessener Weise beachtet werden soll …«
»Ihr denkt, dass wir die Regeln nicht beachtet haben, Pons?«, unterbrach ich ihn mitten im Wort.
Er holte tief Luft. »Als Vater Subillais zum zweiten Mal diese Frau verhörte – diese Martha Fauré –, brachte er sie dazu, Dinge zu behaupten, die nach meinem Ermessen nicht von ihr selbst stammten.«
»Fahrt fort.«
Nun, da der Damm gebrochen war, sprudelten die Worte geradezu aus Pons heraus. »Nachdem sie ihre Sünden gestanden hatte, fragte Vater Subillais sie nach den Namen jener, die in Häresie mit ihr verbunden waren, und sie nannte sie ihm. Dann wollte er wissen, ob sie den Bürger Maurand jemals ketzerische Ansichten habe äußern hören. Sie erwiderte, dass sie Maurand nicht persönlich kenne und ihn in der Stadt nur zweimal von weitem gesehen habe. Daraufhin ließ Vater Subillais den Henker des Seigneurs rufen und befahl ihm, Martha Fauré in die Folterkammer zu führen, ihr dort die Gerätschaften zu zeigen und eingehend ihre Anwendungen zu erklären. Nach ihrer Rückkehr erkundigte sich Vater Subillais bei ihr noch einmal über Aimery Maurand. Er stellte ihr viele Fragen. Ob sie Maurand habe sagen hören, dass der Teufel die Welt beherrsche, ob sie ihn Steine nach einem Abbild der Madonna habe werfen sehen und so weiter. Der Vater machte ihr mehr als deutlich, welche Antworten erwünscht waren. Also diffamierte sie Maurand.«
Plötzlich fühlte ich mich sehr müde. »Martha Fauré stand nicht unter Zwang, Pons. Es war ein freiwilliges Geständnis, das sie nun nicht mehr widerrufen kann.«
»Sie hat dieses freiwillige Geständnis erst abgelegt, nachdem man ihr ausführlich die Funktionsweise der Streckbank erläutert hatte.«
»Ich kann nichts daran ändern.«
»Das mag sein. Doch ich bitte darum, von meinen Pflichten entbunden zu werden, Vater.«
»Sobald wir nach Toulouse zurückgekehrt sind.«
»Aber Va…«
»Erst wenn wir wieder in Toulouse sind, Pons.«
Er verneigte sich und ging. Ich blieb noch lange in meiner Zelle sitzen und starrte grübelnd vor mich hin.
*
Er war einmal ein feiner Herr gewesen, doch davon war nichts mehr zu sehen.
Maurands tiefer Fall bereitete mir keinerlei Vergnügen. Die Unbeugsamkeit meines Ordensbruders hatte ihn zu Grunde gerichtet. Als feiner Kaufmann war er uns zum ersten Mal entgegengetreten, in Pelz gehüllt und nach Lavendelwasser duftend. Nun waren seine Kleider voller Kerkerdreck, seine Haare voller Läuse, und er stank wie all die anderen Gefangenen.
Bruder Subillais pflegte zu sagen, dass der Kerker einen Menschen die Demut lehre, und Aimery Maurand hatte sie in allen Einzelheiten gelernt. Als ich den murus largus betrat, kauerte er in einer Ecke und murmelte vor sich hin. Sein einstmals adrett gestutzter Bart hing ihm zottelig auf die Brust und er verharrte in der gebeugten Haltung eines Straßenbettlers.
Der Barbier hatte gesagt, dass Maurand bei seiner Bekanntschaft mit der Streckbank keine Knochenbrüche davongetragen hatte und bald wieder laufen können würde. Wenigstens lastete mir also nicht auch noch die Sünde auf dem Gewissen, einen Mann zum
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