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Die Novizin

Die Novizin

Titel: Die Novizin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Falconer
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und sogar von ihrem Sockel herabgestiegen war, während ich zu ihr betete. Plötzlich sprudelte alles aus mir heraus, auch dass ich vorhergesehen hatte, wie Guillaume vom Eselskarren eines Müllers überrollt wurde.
    Meine Mutter umarmte mich. Ich spürte, wie sich ihre Brust heftig hob und senkte. Als ich einen Schritt zurücktrat, sah ich, dass sie weinte. Aus Kummer um meinen Wahnsinn, wie ich dachte.
    Aber dann rief sie: »Also ist es wieder geschehen. Mein armes kleines Mädchen!«
    »Wovon sprichst du?«
    »Als ich in deinem Alter war, ist es mir ebenso ergangen. Ich habe keiner Menschenseele jemals davon erzählt.«
    Mir war, als würde eine schreckliche Last von mir abfallen und als könnte ich endlich wieder frei atmen. Heiße Tränen rannen über meine Wangen, Tränen der Erleichterung. Ich war nicht wahnsinnig!
    »Es fängt nach der ersten Blutung an und hört nach der Geburt des ersten Kindes auf. Ich weiß nicht, was es bedeutet. Du musst tapfer sein!«
    Wir umarmten uns noch einmal, und ich klammerte mich an meine Mutter wie eine Ertrinkende.
    Als ich meine Augen wieder öffnete, sah ich meinen Vater im Türrahmen stehen, das Gesicht und die Haare mit weißem Steinstaub bedeckt. Ich schnappte nach Luft und löste mich schnell aus der Umarmung. Meine Mutter wirbelte herum. Angesichts ihrer Miene muss mein armer Vater sich gefühlt haben, als habe er sie mit einem Liebhaber ertappt.
    »Anselm!«, stieß sie hervor. »Wie lange stehst du schon da?«
    »Die Madonna?«, fragte er. »Sie hat die Madonna gesehen?«
    »Du darfst niemandem etwas davon erzählen«, beschwor meine Mutter ihn.
    Er gab keine Antwort und starrte mich einfach nur weiter an. In seinen Augen lagen keinerlei Ärger oder Zweifel, sondern lediglich Erstaunen darüber, dass seine eigene Tochter anscheinend dazu auserwählt worden war, eine Heiligenerscheinung zu erleben.
    »Niemand darf davon erfahren«, mahnte meine Mutter erneut und brachte meinen Vater dazu, Stillschweigen zu geloben. Aber ich glaube, wir wussten beide, was passieren würde. Er würde es einfach nicht für sich behalten können, es entsprach nicht seiner Natur, Geheimnisse zu bewahren. Seine Aufrichtigkeit machte ihn arglos, und damit war sowohl mein Schicksal als auch seines besiegelt.
     
    *
     
    Über unserem Städtchen thronte das Château de Saint Ybars, der Stammsitz eines Adelsgeschlechts, aus dem zwei Großmeister des Templerordens hervorgegangen waren. Wir waren nach Saint-Ybars gekommen, nachdem der Bischof von Toulouse meinen Vater drei Jahre zuvor aus seinen Diensten entlassen hatte. In unserem Haus wurde nie darüber gesprochen, aber natürlich kannte ich den Grund dafür – es war wegen Bernard.
    Und so wurden diese verwinkelten, steilen Gassen zu unserem Zuhause. Die Kirche und die wenigen ärmlichen Häuser kauerten sich innerhalb der Stadtmauern zusammen wie ängstliche Kinder, und zur Nacht wurden die Tore vor den umherstreifenden katalanischen Räubern fest verschlossen. Saint-Ybars war ein Ort der Furcht. Im Winter strichen immer noch Wölfe um die Häuser, um sich Hühner und sogar Kleinkinder zu schnappen.
    Die Kriege waren seit mehr als vierzig Jahren vorüber, doch einige der alten Leute begannen nach wie vor beim Geräusch eines herannahenden Sturms zu zittern, da sie vermeinten, schweres Belagerungsgerät zu hören. De Montfort hatte überall auf seinem Weg zerstörte Wälle und Mauern und verödete Landstriche hinterlassen. Es gab Felder, die seit einem halben Jahrhundert nicht mehr bestellt worden waren, und Gehöfte, die der Wald zurückerobert hatte.
    An jenem Morgen wurde der Klang der Kirchenglocken von dem weißen, schweren Nebel gedämpft, der über dem Fluss lag. Es versprach ein heißer Tag zu werden, die Luft war schwül und drückend. Auf dem Friedhof grasten die Pferde des Seigneurs. Die Wachen öffneten gerade das Westtor. Eine Menschenmenge ergoss sich in die Stadt und begab sich auf direktem Weg zur Kirche, um das Fest der Heiligen Maria Magdalena zu begehen.
    Unser kleines Gotteshaus war schon bald überfüllt, sodass die Händler ringsum gute Geschäfte mit ihren Fleischpasteten und Rosinentörtchen machten.
    Die Messe begann. Der berauschende Geruch des Weihrauchs verursachte mir Kopfschmerzen, und die lateinischen Worte besaßen für mich keinerlei Bedeutung. Père Michel stank nach Wein und Schweiß und brachte lediglich ein Murmeln zustande. Meine Gedanken schweiften ab.
    Ich richtete meinen Blick nach oben und sah Unsere

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