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Die Novizin

Die Novizin

Titel: Die Novizin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Falconer
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Gewölbebalken war verblasst, doch auf den Säulen und Bögen darunter glänzte reinstes Blattgold. Für die Mönche war ein neues hölzernes Chorgestühl angefertigt worden. Auf dem Altar standen sogar zwei goldene Kandelaber und ein goldener Kelch. Es hieß, dass die Komturei der Templer im nahen Maurac für diese Ausstattung aufgekommen war.
    Die Reparaturarbeiten schritten nur langsam voran, denn meinem Vater standen lediglich eine Hand voll Gehilfen und Zimmermänner zur Verfügung. Der Seigneur hatte gesagt, dass er sich nicht mehr leisten könne, obwohl das Geld eigentlich von den Templern stammte. Als mein Vater in Toulouse an der Kathedrale gearbeitet hatte, waren ihm Hunderte von Helfern unterstellt gewesen. Dort gab es allerdings keine Aufträge mehr für ihn, und die Schuld dafür hatte ich ausschließlich mir zuzuschreiben.
    In Saint-Ybars verfügte mein Vater nur über einen Zimmermann, einen Glaser, einen Maler und einige Leibeigene oder freigelassene Sklaven, die niedere Arbeiten verrichteten. Außerdem gab es noch ein paar Maurer, die aus schweren Quadern die Mauern des neuen Querschiffs errichteten. Dieser Teil des Bauwerks war noch immer hinter einem Gerüst aus miteinander vertäuten Holzpfählen verborgen. Ich beobachtete, wie einer der Quader mittels einer komplizierten Anordnung von Seilen und Flaschenzügen an seinen Platz gehievt wurde. Die Arbeit erfolgte in mehreren Etappen, denn die Männer mussten den riesigen Stein beinahe bis auf die Höhe des Kirchturms ziehen, was nicht leicht zu bewerkstelligen war.
    Mein Vater führte die Aufsicht über diese Arbeit, doch sein eigentliches Metier war die Freimaurerei. In jenem Handwerk wird der »freie« Stein behauen, der dann als Ornament in den Kuppeln, den Vorhallen und den Filigranmustern der Gadenfenster auftaucht. Diese Feinarbeit vertraute man ausschließlich meinem Vater und Sicard an.
    Die Werkbänke befanden sich im Hof vor der Kirche. Mein Vater trug das Gewand, die Schürze und die kleine runde Kappe, die ihn als Meistersteinmetz auswiesen. Als er und Sicard mich erblickten, ließen sie ihr Werkzeug sinken und steckten die Hämmer und Ahlen in ihre Schürzen. Sie wirkten erleichtert, eine Pause einlegen zu können. Ihre Gesichter waren voller Steinstaub, und kleine weiße Bäche von Schweiß rannen über ihre Wangen.
    In meinem Korb lagen ein Laib Brot, ein Stück Käse und eine Kruke Wein. Sicard holte ein Messer aus seiner Schürze und begann sofort, den Käse zu schneiden. Mein Vater nahm die Kruke, setzte sie an den Mund und trank mit zurückgelegtem Kopf. Nachdem er seinen Durst gestillt hatte, bemerkte er: »Du kommst spät.«
    »Ich komme jeden Tag zur selben Zeit.«
    »Du bist gewöhnlich beim Angelusläuten hier, aber heute nicht.«
    »Ich wurde auf dem Platz aufgehalten.«
    »Aufgehalten?«
    »Von ein paar Soldaten«, log ich. Dann warf ich Sicard einen kurzen Blick zu und schmückte die Geschichte ihm zuliebe ein wenig aus. »Sie machten im Vorbeigehen einige Bemerkungen.«
    Sicards Augen richteten sich zuerst auf meinen Vater und dann auf mich. »Soldaten?«
    »Ja, Männer mit Waffen. Sie riefen mir einen Gruß zu und sagten, ich solle mich ihnen anschließen. Natürlich gab ich vor, sie nicht zu hören.«
    »Es soll nur mal einer wagen, anzügliche Bemerkungen zu machen, wenn ich dabei bin!«, sagte Sicard heftig. Eitelkeit ist zwar eine Sünde, aber es gefiel mir, wenn seine Augen so funkelten, als würde er es für mich mit sämtlichen Söldnern des Seigneurs aufnehmen.
    »Ich hoffe, du hast nichts getan, um sie zu reizen«, sagte mein Vater und warf mir einen bedeutsamen Blick zu.
    »Ich verhalte mich immer mit der angemessenen Sittsamkeit.«
    »Du verhältst dich immerzu so, als wärst du Eva und sämtliche Männer Adam.«
    Ich überging diese Bemerkung und schlenderte stattdessen zu Sicards Werkbank hinüber, um mir anzusehen, woran er gerade arbeitete. Es handelte sich um einen Stein, der später einen Platz im Tympanon über dem Südportal erhalten würde. Sicard meißelte Teufelsgestalten inmitten von Rebenblättern aus ihm heraus. Er benutzte Hammer und Meißel mit solchem Geschick, dass die Dämonen aussahen, als litten sie wirkliche Qualen, als seien sie nicht bloß Skulpturen, sondern lebendige Wesen, die dem rohen Stein entrissen worden waren. Trotz der brennenden Sonne spürte ich, wie mir ein kalter Schauer über den Rücken lief. Mein Sicard war ein ruhiger, schweigsamer Mann, aber die Ergebnisse seiner

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