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Die Novizin

Die Novizin

Titel: Die Novizin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Falconer
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Mein Vater tratschte wie ein altes Fischweib. Meine Mutter war die Einzige in unserer Familie, die ein Geheimnis zu wahren vermochte. Schon bald würde es in der ganzen Stadt Gerede darüber geben – gefährliches Gerede.
    »Ist es wahr? Dass du auf dem Mont Berenger die Madonna gesehen hast?«
    Ich starrte Sicard an. Mein Geheimnis war keines mehr. Was sollte ich da noch sagen?
    »Nun?«
    »Hast du noch jemandem davon erzählt?«
    »Nur meiner Mutter.«
    »Deiner Mutter? Die könnte doch noch nicht einmal den Mund halten, wenn man ihr mit einer glühenden Zange die Zunge herausreißen würde!«
    »Was macht das schon? Dein Vater hat es doch bereits in der ganzen Stadt verbreitet.« Seine starken Finger rupften ein Grasbüschel aus und rissen es langsam in Stücke.
    »Dabei hat er geschworen, es für sich zu behalten.«
    »Er prahlt damit, als wärst du die Heilige Agnes.«
    Ich ließ den Kopf hängen und schlug die Hände vor das Gesicht. Also war tatsächlich alles bekannt. »Was sollen wir denn jetzt tun?«, flüsterte ich.
    Sicard zog mich an sich. Er wirkte ebenfalls verängstigt, doch vielleicht war er auch einfach nur ratlos. Ich fuhr mit meinen Fingern durch seine Locken und er legte seine Hand auf meine Brust.
    »Lass uns zusammen sein!«, bat ich leise. »Mich kümmert nicht, was dann geschieht.« Das stimmte, es war mir wirklich egal. Ich hatte einfach den Wunsch, mich selbst und meinen Wahnsinn für eine Weile zu vergessen. Womöglich würde ich nach diesem Tag nie mehr ein normales Leben führen können, und die wenigen Augenblicke unter freiem Himmel im Schatten eines Feigenbaums wären alles, was ich jemals davon erfahren durfte.
     
    *
     
    Hinter unserem Haus befand sich eine enge Gasse mit einer Flickschusterei, einer Herberge, in der sich im Sommer die Pilger auf dem Weg nach Santiago de Compostela drängten, und dem Geschäft des Schneiders Gilles Seguier. Seine Arbeitsstube war zur Gasse hin offen, sodass man die bunt gefärbten Wollstoffe in den Regalen sehen konnte.
    Ich kam jeden Tag auf dem Weg zur Kirche hier vorüber, um meinem Vater und Sicard Brot, Käse und Wein zu bringen. Ich konnte gar nicht anders, als fasziniert die feinen Gewänder anzustarren, die Gilles schneiderte. Wenn sich seine Frau nicht in der Nähe befand, war er ein fröhlicher Mann. Jeden Tag plauderte er für eine Weile mit mir, obwohl er genau wusste, dass ich niemals zu seinen besten Kunden zählen würde. Einmal hatte Gilles einen Hermelinmantel für Monsieur Maurand angefertigt und mir erlaubt, mit der Hand über den weichen Pelz zu streichen. Noch nicht einmal im Traum konnte ich mir vorstellen, ein solches Kleidungsstück besitzen.
    Einige Tage nach dem Fest der Heiligen Maria Magdalena kam ich wieder an dem Geschäft vorbei und blieb stehen, um seine Arbeit zu bewundern. Er schnitt gerade mit einer großen Schere ein Stück Samt zu, aus dem er eine Haube für die Frau des Müllers machen wollte. Trotz der vom Magistrat erlassenen Kleiderordnung, die nur Edelleuten das Tragen von kostbaren Gewändern und Kopfbedeckungen erlaubte, taten Männer wie der Müller und Monsieur Maurand, was ihnen gefiel – denn welchen Sinn macht Reichtum, wenn man ihn nicht zeigen kann? Es hieß, dass sich in Toulouse jeder Bürger wie ein Seigneur kleidete, während die Bürgersfrauen sich in Atlas aus Genua und Venedig hüllten und Ringe an den Fingern trugen, deren Steine so groß waren wie die Hinterlassenschaften eines Esels.
    Gilles erkundigte sich scherzhaft, ob ich für den Winter lieber einen Mantel aus Fuchspelz oder Bärenfell hätte. Ich lachte und erwiderte, dass für mich nur Zobel in Frage käme. Just in diesem Augenblick hörte ich Schritte hinter mir und den lauten Gruß einer bekannten Stimme. Monsieur Maurand kam offenbar gerade vom Sattler, denn sein Knecht lief hinter ihm her, unter dem Gewicht eines neuen Ledersattels wankend.
    Strahlend stemmte Maurand seine Hände in die Hüften und versperrte mir den Weg. »Mademoiselle de Peyrolles! Ich wusste gar nicht, dass eine edle Dame wie Ihr diesen Lumpenhändler beehrt!«
    Ich warf Gilles einen Blick zu. Er zwang sich, über Maurands kleinen Scherz zu lächeln, ignorierte die Beleidigung und dachte dabei wahrscheinlich an den Beutel des Kaufmanns, in dem das Silber klimperte.
    »Und was wünscht die junge Dame heute?«, fragte Maurand.
    »Ich bin nur hier, um die gute Schneiderarbeit zu bestaunen.« Ich suchte nach einer Möglichkeit, an ihm vorbeizukommen, doch dazu

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