Die Novizin
Morgens war das Tal weiß bestäubt und die Luft dermaßen kalt, dass es beim Einatmen in der Kehle schmerzte.
Nun, am späten Nachmittag, stand ich in meinen Bärenfellmantel gehüllt oben auf dem Bergfried. Vereinzelte Schneeflocken wirbelten gegen meine brennenden Wangen. Der Wind fuhr leise seufzend durch die Mauern, ansonsten herrschte eine tiefe Stille über dem Tal. Lange Eiszapfen hingen an den Buchen, und der Schnee hatte sich in sanften Wellen über die Hügel gelegt.
Die Ketzer hatten die Schönheit dieser Welt verschmäht und als pure Einbildung abgetan. Sie hatten behauptet, der Teufel habe sie mit derselben Absicht erschaffen wie die körperliche Schönheit: um die Seele zu verführen und sie dazu zu verleiten, sich auf vergängliche Dinge zu verlassen. Doch es fiel mir schwer, die winterlichen Bäume zu ignorieren, die Schneeflocken auf den rotbraunen Dächern, die Spuren eines Bauern auf dem Feld.
Allerdings musste ich zugeben, dass die Schönheit der winterlichen Landschaft auch negative Folgen hatte: Die Armen drängten sich zitternd vor Kälte in ihren feuchten Hütten zusammen, und in den dunklen Gassen von Toulouse erfroren des Nachts die Bettler.
*
Von der überfrorenen, zerfurchten Straße nach Couiza, unserer einzigen Verbindung mit dem Rest der Welt, drang plötzlich Hufgeklapper und das Scheppern von Geschirren herüber. Die Dominikanermönche waren in Saint-Ybars eingetroffen.
Ich beobachtete, wie sie auf ihren Zeltern und ihren kleinen Pferden und Mauleseln heranritten, und mir wurde das Herz schwer. Über das Bild winterlicher Anmut legte sich der Schatten des Teufels. Die kraftlose Sonne ging langsam hinter den Bergen unter, und ich fragte mich bang, wann wir wohl wieder ihre Wärme spüren oder ihr Licht erblicken würden.
*
Dem Inquisitor und seinen Begleitern schlug der Geruch von verbranntem Fleisch entgegen. Raymonds Soldaten hatte einige alte Weiber und Schwachsinnige in der Stadt zusammengetrieben und dem Scheiterhaufen überantwortet. Die Glut war noch nicht erkaltet.
Gemeinsam mit meinem Gatten empfing ich die Mönche und ihr unauffälliges Gefolge im eiskalten Innenhof unserer Burg. Ihre Mienen verrieten argwöhnische Überraschung.
»Haben hier Verbrennungen stattgefunden?«, richtete einer von ihnen das Wort an meinen Gatten.
»Wie es regelmäßig der Fall ist. Wir dulden hier keine Häretiker, Vater.«
Er erntete ein verkniffenes, bitteres Lächeln. Der Wettstreit hatte begonnen.
*
Wie die übrige Bevölkerung wurden auch wir am folgenden Morgen in die Kirche der Heiligen Maria Magdalena zitiert, um die Predigt zu hören, die Vater Hector Subillais für uns vorbereitet hatte. Ich hatte den Inquisitor für einen ungewöhnlich wortkargen Mann gehalten, doch als er auf die Kanzel stieg, wurde ich eines Besseren belehrt: Seine Augen funkelten, und seine kräftige Stimme hallte von den Steinmauern wider wie die eines Propheten.
Die Predigt war sehr lang, und ich vermag mich nicht mehr an alle Einzelheiten zu erinnern. Der Inquisitor hielt unsere Gemeinde an, mit Eifer gegen die Ketzerei vorzugehen, und führte uns vor Augen, welche Folgen ein Versagen unsererseits haben würde. Jene beschrieb er besonders ausführlich und fand offenbar großen Gefallen daran, uns den Unterschied zwischen Himmel und Hölle auseinander zu setzen.
Die Freuden des Himmels schilderte Vater Subillais allerdings nicht besonders deutlich. Sie hatten offenbar nichts mit den irdischen Vergnügungen der Menschen zu tun und waren daher nicht gerade geeignet, ihr Interesse zu wecken. Meines Wissens schöpften die Menschen ihre Befriedigung daraus, zu trinken, zu würfeln, Bärenkämpfen zuzusehen und Unzucht zu treiben – mit dieser Art von Unterhaltung war allerdings laut Vater Subillais’ Predigt im Himmel nicht zu rechnen.
Als er jedoch auf die Schrecken des Fegefeuers zu sprechen kam, wurden seine Schilderungen sehr viel genauer und anschaulicher. Beinahe wehmütig beschrieb er die gequälten Schreie der gemarterten Seelen, die hell glühenden Feuer, in denen sie geröstet wurden, die glühenden Zangen, die ihnen das Fleisch vom Leib rissen, obwohl sie doch gar keinen Leib mehr besaßen. All dies malte er mit einer solchen Fülle an Einzelheiten aus, dass selbst unsere Söldner erbleichten. Vater Subillais schien mehr über die Hölle zu wissen als über den Himmel, und sicherlich fragten sich viele, wie er an dieses Wissen gekommen war. Doch niemand wagte es,
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